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Die Blüten der Erinnerung

■ Kein Sex-Maniac: der Fotograf Nobuyoshi Araki in den Deichtorhallen

Ein übler Ruf als Sex-Maniac geht ihm voraus, und das kommt marketingmäßig voll gut: Nobu-yoshi Araki, der 1940 geborene Fotograf aus Tokyo, ist seit mehr als dreißig Jahren in seinem Land ein Medienstar und erotisches Enfant Terrible. Erst vor vor sechs Jahren hatte er seine erste Ausstellung außerhalb Japans. Seitdem scheint es der westlichen Kunstwelt weniger denn je zu gelingen, sich eine zusammenhängende Vorstellung vom Land der aufgehenden Sonne und seiner Tamagotchikultur zu machen.

In seiner Ausstellung in den Deichtorhallen werden nicht nur die zu Markenzeichen gewordenen schwarz-weißen, wandfüllenden Bildhäufungen gezeigt; extra für Hamburg hat Araki einen Fries aus zwei Reihen von je hundert Bildern konzipiert, der cibachromeleuchtende Blumenbilder mit den Stills eines verschmurgelten Schwarzweiß-Films kombiniert. Die Morbität ist in die Bilder hineingewandert: Die entfaltete Blütenpracht steht kurz vor dem Verwelken und der Film, angeblich seit den Siebzigern unsachgemäß gelagert, zer-frißt die gespeicherte Erinnerung.

Die geradezu überwältigende Fin-de-Siècle-Stimmung, die aus der zugleich technoiden und in den vergessenen Hinterhöfen ländlichen Megastadt Tokyo herüberschwappt, ist so „schön“, daß es geradezu ein Ärgernis ist: Es braucht etwas Zeit, um hinter dieser Bildinszenierung das in Japan unverarbeitete Trauma des verlorenen Krieges und seiner atomaren Verwüstungen zu ahnen. Der satyrische Tanz, der im Bilderstrom Wolken als Geschlechtsteile assoziierte und neckische Plastik-Godzillas in Hinterhöfe zu nackten Frauen lockte, scheint einer endlosen Melancholie gewichen.

Alle Fotografie erzeugt Stil-

leben, egal was sie zeigt. Und die Organisation des Alltags selbst als reduziertes Stilleben scheint uns traditionell besonders japanisch. Dazu sind die Parallelen von Arakis Fotos zum aktuellen japanischen Film mehr als deutlich. In welchem Maße diese Bildwelt kein ethnologischer Sonderfall, sondern mit westlicher Fotografie der achtziger Jahre vergleichbar ist, läßt sich am Ausstellungsumfeld der Kunstmeile gut überprüfen: in der selben Halle die exemplarische Fotosammlung Lambert, im Kunstverein Fast forward – Image und ab Ende März in der Kunsthalle die amerikanische Fotoschule um Nan Goldin.

Und kein Wort zum auch in Hamburg öffentlich – u.a. von der GAL – erhobenen Vorwurf der „gefährlichen Verharmlosung der Gewalt“gegen Frauen? Ach, die Wege der Zensur sind dunkel und gewunden. Die Japaner bieten die seltsame Variante, daß die nackte Scham erlaubt, ein Bild mit dortiger Behaarung aber verboten ist. Und vor allem: Das reflexartige Verbellen von Fotos unüblicher Sexualpraktiken und nackter Genitalien, seien sie männlich wie bei Mapplethorpe oder weiblich bei Araki, verwechselt die Realitätsebenen.

Ein Bondage-Foto im Werkkontext ist so wenig gewaltverherrlichend, wie ein fotografierter Geldschein ein Zahlungsmittel ist oder ein Bestattungsunterneh-mer nekrophil. Kunst ist, in welcher Form auch immer sie erscheint, vor allem eine Frage des Zusammenhanges. Fesselungen mögen ja eine abzulehnende Lustpraxis sein, hier werden sie inszeniert, nicht dokumentiert. Ihr mit freiwilligen Modellen gestelltes Bild bei Araki ist vor allem ein vielschichtiges Symbol. So vergessen kann die Obszönitätsdebatte der späten sechziger Jahre doch nicht sein: Wirklich pervers sind panzersegnende Pfaffen und das fiese Geräusch, mit dem sich eine Motorsäge in einen mehrhundertjährigen Baum schneidet. Hajo Schiff

Deichtorhallen, bis 1. Juni

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