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Offen sind nur noch die Discos

Ein halbes Dutzend Fälle von Meningitis kann einen ganzen Landkreis lahmlegen, wie die Niederbayern gerade erfahren. Nur die Landjugend will weiter tanzen  ■ Aus Rottal/Inn Matthias Mantzen

Im niederbayerischen Landkreis Rottal/Inn ist nach dem Auftreten von insgesamt sechs akuten Meningitis-Fällen das kulturelle Leben vorübergehend zum Erliegen gekommen. Manche sagen, das falle gar nicht weiter auf.

Alle Veranstaltungen wurden abgesagt, die Schulen im ganzen Landkreis bereits am Dienstag geschlossen. Weil die gefährliche Krankheit durch sogenannte Tröpfcheninfektion übertragen wird, also durch Niesen, Küssen, Schwitzen, Spucken, empfiehlt der Krisenstab im Landratsamt von Pfarrkirchen: „Alle Menschenansammlungen meiden!“

Das ist nicht schwer in und um Pfarrkirchen: Der ganze Landkreis hat nur 116.000 Einwohner, die „Hauptstadt“ Pfarrkirchen ganze 12.000. Die meisten Einwohner leben in winzigen Dörfern, zerstreut über das waldige Hügelland.

Menschenleer kam einem die Gegend hier deswegen schon immer vor. Doch jetzt ist sie noch leerer: Nicht einmal die Fußballvereine trauen sich am nächsten Wochenende noch auf die Rasen – der Gegner könnte ansteckend sein. Beim SSV Eggenfelden wurden vorsorglich alle Spiele der Jugendmannschaften abgesagt. Ebenso hat es die Stadtsparkasse mit ihrem Hallenfußballturnier gemacht.

Der Ferkelerzeugerring hat seine Mitgliederversammlung bereits gestern abend abgesagt, und Frau Plank vom gleichnamigen Kino war irgendwie froh, „daß bei uns schon lange kein Film mehr gezeigt worden ist“. Sonst müßte sie nämlich auch darüber nachdenken, das Kino für ein paar Tage zu schließen.

Alles, was es gibt, ist zu: die Bücherei, die Musikschule und das Jugendhaus. Und bei dieser Gelegenheit erfährt man, daß es den schon vergessenen Sänger Ulrich Roski doch noch gibt. Der hätte nämlich heute abend in Eggenfelden gesunden. Hätte. Das Konzert wird in gesunderen Tagen nachgeholt. Brigitte Braunstetter, die Wirtin in der Sportsgaststätte von Eggenfelden, hofft jetzt, „daß sich keiner mehr anstecken kann. Wir ham ja hier zum Glück keine U- Bahn.“

Im Landratsamt gibt es seit Dienstag eine Hotline. „Also ich würde Ihnen raten, spazieren zu gehen“, antwortet eine weibliche Stimme auf die Frage, was man denn jetzt am Wochenende unternehmen soll.

Man könnte aber auch in die Disco gehen. Denn obwohl sich der am vergangenen Samstag gestorbene 16jährige Junge die Infektion vermutlich in einer Discothek während der Faschingstage geholt hatte, sind sie die einzigen Massenveranstaltungsorte, die noch offen sind. Sie zu schließen, „dazu sind wir nicht kompetent“, sagt eine Sprecherin im Landratsamt.

Es käme auch einem Anschlag auf die Freiheit der Landjugend gleich. Denn von Donnerstag bis Sonntag sind die zwanzig Discotheken zwischen Pfarrkirchen, Eggenfelden und Simbach das Wohnzimmer der 15- bis 25jährigen. Die größte, die „Mega Disco“ in Eggenfelden, wartet deshalb auch an diesem Wochenende wieder auf 2.500 junge Niederbayerinnen und Niederbayern. „Die lassen sich doch nicht alle von einer Warnung abhalten“, sagt Besitzer Gerhard Freundorfer.

Immerhin ist seit Beginn dieser Woche kein neuer Meningitis-Fall mehr aufgetaucht. Das erklärten gestern die Experten vom Berliner Robert-Koch-Institut, die sich in Pfarrkirchen aufhalten. Die ersten Kamerateams sind darum schon wieder abgereist.

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