: „Die Linke in der Fraktion wird stärker werden“
■ Nach dem Bosnien-Beschluß wird über die Mehrheitsverhältnisse der Bündnisgrünen im neuen Bundestag spekuliert. Spekulationen um Fischer als Außenminister erst mal gedämpft
„Ich warne davor, das Fell des Bären zu verteilen, solange dieser noch brummt“. Als Joschka Fischer am Samstag nachmittag den Delegierten des bündnisgrünen Parteitages dringendst nahelegte, doch erst einmal ein passables Wahlergebnis einzufahren, bevor man beginne, über Posten und Pöstchen nachzudenken, konnte er noch nicht wissen, wie berechtigt dieser Hinweis bereits am Sonntag werden sollte. Mit dem Bosnien-Abstimmungsergebnis in der Tasche dürften zuallererst die Spekulationen um einen möglichen grünen Außenminister in einer möglichen rot-grünen Koalition einen heftigen Dämpfer bekommen haben. Auch wenn die Bundestagsfraktion im Juni einer Verlängerung des SFOR-Einsatzes der Bundeswehr in Bosnien zustimmen wird, weil die meisten Abgeordneten dafür sind und die Partei sie nicht festlegen wird, wird bereits jetzt heftig gerechnet, wie eigentlich die Mehrheitsverhältnisse in der kommenden Fraktion aussehen werden. „Die Linke wird stärker“, sagt Christian Ströbele, der in Berlin einen sicheren zweiten Platz auf der Landesliste hat und zu den Wortführern des linken Flügels der Partei gehört.
Zwar stehen die Nominierungen für die Landeslisten verschiedener Bundesländer noch aus – darunter so wichtige wie Niedersachsen und Hessen –, trotzdem ist schon klar, daß Ludger Volmer, der in dieser Legislaturperiode die Linke in der Fraktion organisierte, Verstärkung bekommen wird. Neben Ströbele aus Berlin hat Claudia Roth, zur Zeit noch im Europaparlament, einen sicheren Platz in Bayern, und der jetzige Parteisprecher Jürgen Trittin wird in Niedersachsen nominiert werden. Ob dagegen Helmut Lippelt, der in seiner Zeit im Bundestag als Außenpolitiker mehr und mehr zu einem Vertreter des moderaten Realo- Flügels wurde, in Niedersachsen noch einmal die Chance hat, von den fünf sicheren Plätzen einen abzubekommen, ist sehr fraglich. Die hessische Landesliste, obgleich auch noch nicht abgestimmt, werden wohl die Realos unter sich ausmachen. Spitzenkandidatin soll Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer werden, Platz zwei ist für den Chef Joschka Fischer reserviert, auf Platz drei kandidiert die Wirtschaftsexpertin Margarete Wolf. Und danach kommt der hessische Jungstar Matthias Berninger. Nur Platz fünf, der ebenfalls als sicher gilt, ist noch offen.
Allerdings haben die politischen Schubladen, in denen Realos, Linke und Fundis sortiert werden, nur noch einen begrenzten Aussagewert. Die Lagergrenzen sind erheblich durchlässiger geworden, Joschka Fischer wird längst über alle Flügel hinweg als großer Vorsitzender akzeptiert, und vor allem die jüngere Generation will sich nicht mehr in die Kategorien der 80er Jahre einsortieren lassen. Leute wie Cem Özdemir, der von seinem Landesverband Baden-Württemberg sicher wieder aufgestellt wurde, oder die Spitzenkandidatin aus Berlin, Andrea Fischer, sind profilierte FachpolitikerInnen, die sich den Glaubenskämpfen ihrer Altvorderen nicht mehr so recht anschließen wollen. Für sie zählen Ergebnisse mehr als Resolutionen, praktische Schritte, beispielsweise in der Migrations- oder Rentenpolitik, mehr als Parteitagssiege.
Wie immer man bei den Grünen weiter rechnet, wer immer versucht, seinen Anhang unter einem der alten Etiketten zu versammeln, wird feststellen, daß dieser Trend weiter zunimmt. Jürgen Gottschlich, Magdeburg
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