: Schatz gehoben, Echo dürftig
■ Feinfühlig inszeniert: Smetanas Oper „Zwei Witwen“entpuppt sich am Stadttheater Bremerhaven als zeitloseses Meisterwerk
Bedrich Smetanas 1874 uraufgeführte Oper „Zwei Witwen“, die als die erste Oper des tschechischen Komponisten (1881 in Hamburg) auf einer deutschen Bühne zu sehen war, ist auf den ersten Blick nur noch bedingt lebensfähig: Die jungen, verwitweten Cousinen Karolina und Anezka bedienen alle Klischees, die über das Dasein von Witwen kursieren. Lebenslustig und heilfroh über ihren neuen unabhängigen Stand die eine – „seit ich lebe ohne Mann, fängt das Leben erst so richtig an“– und vergrämt die andere – „Frieden such ich, Einsamkeit allein, will nur in der Erinnerung leben“. Doch jetzt hat die junge Regisseurin Birgit Kronshage das Werk in Bremerhaven inszeniert. Und sie zeigt zweiterlei: Daß es ein zeitloses Thema ist, wann und wie das Leben nach dem Tod des Lebenspartners weitergeht. Und daß die Musik von Smetana der Hebung eines Schatzes gleichkommt. In der Geschichte der Oper, in der Frauen meist Opfer und Tote sind, provozieren diese beiden unabhängigen Damen des neunzehnten Jahrhunderts (!) bei dieser Inszenierung auch am Ende des zwanzigsten Staunen.
Die inzwischen dritte Regiearbeit von Birgit Kronshage besticht durch ihre Feinzeichnung und wirkt dadurch jeglicher Klischeebildung erfolgreich entgegen. Karolina ist viel mehr als nur lebenslustig: Als erfolgreiche Leiterin ihres geerbten Landgutes muß sie über Disziplin und unternehmerische Qualitäten verfügen. Und Agnezkas „Verzicht“ist von Anfang an ein nur äußerlicher: Sie wartet nur zu sehr auf die Chancen für ein neues Leben. Die schillernde Doppeldeutigkeit der beiden Frauencharaktere – darstellerisch wie sängerisch glänzend: Eun-Joo Park und Brigitte Jäger – unterstützt die Regisseurin durch die Interpretation des Ladislav: Der hatte nämlich Agnezka schon geliebt, als sie noch verheiratet war. Nun läßt er sich als Wilderer verhaften, um in ihre Nähe zu kommen. Dieser dramaturgischen Unglaubwürdigkeit, um nicht zu sagen, diesem Blödsinn, begegnet Kronshage richtig: In dieser Aufführung ist der schicke Prager eher ein fein gekleideter, narzißtischer Gockel, was seine Funktion in der Entwicklung von Agnezka überdeutlich macht. Seine Liebesschwüre und sein Kniefall wirken denn auch eher als gelernte Zitate. Sehr überlegen und häufig richtig witzig: Martin Mühle mit heldentenoralem Glanz.
Kleine ironische Symbolismen sind gezielt gesetzt: Zum Beispiel die David-Skulptur Michelangelos in der Mittes des stimmungsvoll ausgeleuchteten Landgutraumes, der wie ein Bühnenbild zu Tschechow aussieht (Bühne von Odilia Baldszun). Der weltberühmten Skulptur wird mal verschämt ein Handtuch umgehängt, mal wird sie eindeutig angefaßt, und meist fungiert sie als Garderobenständer. Auch findet die Inszenierung zu einem gelungenen Gleichgewicht und Gegensatz von äußerem Tempo und innerem Stillstand und umgekehrt.
Smetanas kammermusikalisch feine Musik, zu deren Höhepunkten sowohl die wilde Polka der beiden Witwen als auch die zahlreichen Ensembles zählen, glüht durch und durch und weist den bekannten unbekannten Komponisten über „Die Moldau“und „Die verkaufte Braut“hinaus als einen Meister des realistischen, aber auch nationalistischen Operntheaters aus: Die Musikalisierung ist sehr genau dem Metrum der Sprache nachgebildet, ein Verfahren, das dann Leos Janácek im zwanzigsten Jahrhundert zur Methode erhob (insofern wäre der Sahnetupfer dieser Aufführung die tschechische Sprache gewesen). Der Dirigent Peter Aderhold bewies mit dem Städtischen Orchester Bremerhaven inspiriert, wie sehr sich diese Ausgrabung lohnt und wie sinnvoll es ist, daß kleinere Theater nicht nur den Highlights unter dem Motto „Wir können das auch“nachhechten sollten. Schade nur, daß das Publikum das – zumindest zum Zeitpunkt der schlecht besuchten Premiere – nicht so sieht: Viel zu wenig Zuschauer lobten die Aufführung durch verdiente Ovationen.
Ute Schalz-Laurenze
Weitere Aufführungen: 11., 20. und 27. März um 20 Uhr
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