■ Editorial: Kultur der Toleranz?
Der Internationale Drogenkontrollrat der UN prangerte im Ende Februar veröffentlichten Weltdrogenbericht 1997 die „Kultur der Toleranz“ gegenüber Drogen an. Kein Wunder, wo doch selbst in Deutschland Regierungsmitglieder zum Drogenkonsum aufrufen: Eine Flasche Wein solle ein rheinland-pfälzischer Mann täglich trinken, hatte Rainer Brüderle (FDP) angeregt. Der Landesminister ist neben den Bereichen Weinbau und Wirtschaft auch für den „Verkehr“ zuständig. Beruhigend zu wissen, daß auf Bundesebene die Promillegrenze für Autofahrer gesenkt werden soll. Das gleiche Gesetz besagt allerdings auch: Wer sich hinters Steuer klemmt und Rückstände einer anderen Droge in irgendeiner Form im Blut hat, dem droht der Führerscheinentzug. Ob der Fahrer noch berauscht ist oder sein letzter Joint Wochen zurückliegt, steht dabei nicht zur Debatte. Manche Drogen sind eben gleicher als andere (siehe Bericht Seite 7).
Mit der Gleichheit haben unsere Gesetzgeber auch in anderer Hinsicht Schwierigkeiten: Einerseits wurde der Besitz und Verkauf von Hanfsamen verboten, um Growshop-Betreibern und Selbstanbauern den Garaus zu machen. Andererseits sind genau dieselben bösen Drogensamen ein unerläßlicher Bestandteil im Vogelfutter – und dürfen, solange sie „in unzählbaren Mengen“ über den Ladentisch gehen, weiterhin verkauft werden. Die Folge: Der Handel mit neuartigen Vogelfuttersorten (Marke „Hänfling spezial“ u.a.) boomt. Es kann von Glück gesagt werden, daß der Versuch des Gesetzgebers gescheitert ist, Tausende unbescholtene Selbstversorger in die Arme von Dealern zu treiben (siehe Bericht Seite 4).
Gegen diese konzeptionslose Drogenpolitik regt sich Widerstand: Die „Drogenpolitische Guerilla“ überschwemmt die Bundesrepublik mit Hanfsamen – auch die Bundestagsabgeordneten blieben nicht verschont. „Ziel der Sache ist es, daß in ganz Deutschland wieder Cannabis blüht“, so einer der Aktivisten (siehe Interview Seite 6).
Den Haschern und Kleindealern in New York blühen dagegen ganz andere Dinge: Rund 7.500 Verhaftungen wegen Handels und 17.000 wegen Besitzes von Dope konnte Bürgermeister Giuliani vergangenes Jahr vorweisen: „Wir werden daran arbeiten, New York City Block für Block von Drogen und Drogendealern zu säubern.“ Daß die meisten Verfahren noch am selben Tag wegen Geringfügigkeit eingestellt werden, verschweigt der Saubermann (siehe Bericht Seite 16).
Wer im fernen Nippon mit einem halben Gramm Hasch erwischt wird, muß hingegen mit einer rechtskräftigen Verurteilung rechnen. Marihuana gilt in Japan als eine gefährliche Droge. Trotzdem ergab eine Umfrage, daß 80 Prozent der Jugendlichen irgendwann einmal einen Joint probieren möchten. Doch auch dieser Umstand geht nicht auf eine „Kultur der Toleranz“ zurück, sondern ist einer mißlungenen Aufklärungskampagne des Erziehungsministeriums zu danken (siehe Bericht Seite 19). lk/ole
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen