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Hoffen auf ein segenreiches Zeitalter

Bei den Präsidentschaftswahlen in Armenien ist der ehemalige KP-Chef der Favorit. Nostalgie, Wut und Resignation erweisen sich angesichts der verheerenden Wirtschaftslage als beste Wahlkampfhelfer  ■ Aus Eriwan Klaus-Helge Donath

Von den Wänden löst sich der hellgrüne Anstrich in großen Placken. Darunter wird der angegraute Putz sichtbar. In den verrosteten Fassungen der Neonlampen fehlen die Röhren. Die metallenen Türgriffe wurden inzwischen einer anderen Verwendung zugeführt. Einst belieferte die Elektrofabrik „Armelektromasch“ in Eriwan die gesamte Sowjetunion mit Generatoren und Transformatoren. Siebentausend Arbeiter beschäftigte der Betrieb, heute seien je nach Auftragslage zwischen vier- und fünftausend in der ständigen Produktion, erzählt Gewerkschaftsvorsitzender Gamlet Askapjan.

Ein wenig beschönigt der Gewerkschafter die Dinge schon. Doch das ist zulässig, schließlich finden Präsidentschaftswahlen in Armenien statt, und Fabrikdirektor Karen Demirtschjan ist einer der zwölf Kandidaten. Das Unterstützerkollektiv im Gewerkschaftstrakt huldigt seinem Direktor wie einem Weisen aus dem Morgenland. Er sei klug, gebildet, erfahren, prinzipientreu und hartnäckig. Vor allem verstehe er es, Vertreter unterschiedlicher Interessen zu einem Kompromiß zu bewegen. Kurzum, schafft Demirtschjan den Sprung auf den Präsidentensessel, glauben seine Anhänger, bricht in der transkaukasischen Republik endlich ein segensreiches Zeitalter an.

Die Arbeiter sind nicht die einzigen, die ihre Hoffnungen auf den Chef der Sozialistischen Partei setzen. In Umfragen vor dem gestrigen Wahltag schnitt der ehemalige Erste Sekretär der Kommunistischen Partei Armeniens unter Leonid Breschnew gut ab. Erst in letzter Minute gab er seine Kandidatur bekannt und lehrte die aussichtsreichen Kandidaten, Premierminister Robert Kotscharjan und den Vorsitzenden der nationaldemokratischen Partei Wasgen Manukian, seit Jahren Leitfigur der Opposition, das Fürchten. Die Entscheidung fällt vermutlich in erst in der Stichwahl.

Fama und Not erweisen sich als die effektivsten Wahlkampfhelfer. Reminiszenzen werden wach: War es nicht zu Zeiten Demirtschjans, als Eriwan die Metro erhielt, das Sportstadium errichtet wurde? Ein eigentümliches Gebräu aus Enttäuschung, Wut auf die führenden Demokraten der ersten Stunde und Resignation angesichts einer verheerenden Wirtschaftslage, angereichert mit einem gehörigen Schuß Nostalgie, benebeln die Sinne der Parteigänger. Sie alle bauen auf eines: Demirtschjans alten Beziehungen werden die Dinge schon richten, schließlich kennt er Hinz und Kunz in Moskau. Doch wird Rußland, das beim verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan darauf drängt, ins Ölgeschäft zu kommen, Geld für den alten Weggefährten lockermachen?

Die meisten Industriebetriebe Armeniens stehen still. Fast achtzig Prozent der Bevölkerung leben nach UN-Angaben in Armut oder gerade mal am Rande des Existenzminimums. Zehn bis fünfzehn US-Dollar beträgt der Durchschnittslohn; Staatsangestellte, Lehrer und Ärzte verdienen noch weniger. Die Privatisierung hat einer Schicht von fünf Prozent zu unsagbarem Reichtum verholfen, die mehr als die Hälfte des landesweiten Eigentums in ihren Händen hält. Der im Februar geschaßte Präsident Levon Ter- Petrosjan hat der hemmungslosen Aufteilung des Staatsbesitzes unter den Clans aus Industrie und KP tatenlos zugesehen. Daher weinen die Armenier dem einstigen Volkshelden keine Träne nach.

Ter-Petrosjans kompromißbereitere Haltung im Konflikt mit Aserbaidschan um die armenische Enklave Nagorny-Karabach war nur ein Vorwand, ihn zu stürzen. Der Präsident hatte sich im Streit zwischen Baku und Eriwan um den Status der 1994 endgültig okkupierten Bergrepublik Karabach geneigt gezeigt, auf die von den armenischen Karabachern geforderte staatliche Souveränität zu verzichten und sich mit einem Autonomiestatus innerhalb Aserbaidschans zufriedenzugeben. Im Tausch gegen die Trassenführung einer Pipeline vom Kaspischen Meer über das Territorium Armeniens in den Süden der Türkei.

Karabach ist im Wahlkampf ein wichtiges, aber nicht allein beherrschendes Thema. Obwohl Premierminister und Präsidentschaftskandidat Robert Kotscharjan aus Karabach stammt, am bewaffneten Konflikt aktiv teilgenommen hat und 1994 zum Präsidenten der Republik gewählt wurde. Im Schulterschluß mit den Sicherheits- und Verteidigungsministern hebelte er Petrosjan aus dem Amt. Seither werden Befürchtungen laut, er könnte durch eine härtere Gangart den Krieg wieder aufflackern lassen.

Kotscharjan hat etwas von einer charismatischen Führerfigur. In Karabach hatte sich alles seinem Willen unterzuordenen. Im Wahlkampf unterließ es der Pragmatiker, das Thema Krieg und Frieden anzusprechen, wohlwissend, daß die Bevölkerung erst satt werden muß, bevor sie sich in Abenteuer stürzen läßt. Doch am Ende wird selbst Kotscharjan bei einer Regelung des Status von Karabach zu Kompromissen bereit sein.

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