: War's der Sozialismus?
■ Im Berliner Dopingprozeß gegen sechs DDR-Schwimmtrainer und -Ärzte beantragt die Verteidigung die Einstellung
Wenn Dutzende Kameras vor einer Tür aufgebaut sind und die Szenerie in grelles Licht eingebettet ist, ahnt man, daß etwas Sensationelles nicht weit entfernt sein kann. Hinter der Tür nämlich. Es ist ja auch eine Art Sensationsprozeß, was gestern in Berlin-Moabit begann – aber eben auf eine andere Art auch nicht. Das wurde am ersten Tag dieses ersten Prozesses um Doping von Minderjährigen im DDR-Spitzensport klar, an dem sich die angeklagten Trainer und Ärzte erwartungsgemäß gegen die Strafverfolgung gewehrt haben.
Über allem steht die Frage: Was kann dieser Prozeß leisten? Im Sitzungssaal läuft eine eher kleine Sache. Eine Handvoll Angeklagte könnten nach dem (für sie geltenden) DDR-Recht wegen Körperverletzung zu bis zu drei Jahren verknackt werden. Aber sonst: Für die Republik, für den Sport? Natürlich forderten die Verteidiger der sechs Angeklagten vor dem Berliner Landgericht die Einstellung oder Aussetzung des Verfahrens. Sie argumentierten unter anderem, ein Anspruch auf Strafverfolgung bestehe wegen Verjährung und wegen der faktischen Straffreiheit von Doping in der DDR nicht.
Die Anklage wirft den vier einstigen Schwimmtrainern des SC Dynamo Berlin, Rolf Gläser (58), Volker Frischke (53), Dieter Lindemann (46) und Dieter Krause (50) sowie den heute in Österreich arbeitenden Sportmedizinern Bernd Pansold (56) und Dieter Binus (59) Körperverletzung in jenen 19 Fällen vor, die sie glaubt beweisen zu können.
Zu den jugendlichen Sportlerinnen, denen jahrelang gesundheitsschädliche Hormonpräparate verabreicht worden sein sollen, gehört die immer noch von Frischke trainierte Freistilschwimmerin Kerstin Kielgaß, die in Perth im Januar Gold mit der Staffel des DSV gewann, sowie Ex-Weltmeisterin Sylvia Gerasch und Doppel-Olympiasiegerin Katrin Meißner.
Sind die Trainer schuld? Oder ist Honecker schuld an allem – allein, wie das gestern ein Anwalt zu suggerieren versuchte? Staatsplanthema 14.25 hat das flächendeckende Doping befohlen, stimmt, aber nicht dezidiert mit Testosteronspritzen oder dem Anabolikum Oral-Turinabol. Im Gegenteil: Die Medikamente waren auch in der DDR „für diese Zwecke nicht zugelassen“, wie Staatsanwalt Rüdiger Hillebrandt sagte. Herausgekommen sind jedenfalls junge Frauen, die heute mit irreversiblen körperlichen Schäden zu kämpfen haben. Ab kommenden Mittwoch werden sie davon erzählen müssen.
Egon Krenz, letzter Staats- und Parteichef der DDR, kann dann wieder zuhören. Er hatte sich ins Gericht bemüht und gehöhnt, man könne viel Geld sparen, wenn man ihn sofort auf die Anklagebank setze. Er war im ZK der SED zuständig für Sport. Manfred Ewald war auch da, langjähriger Präsident des DTSB, und Rudi Hellmann, Leiter der Abteilung Sport im Zentralkomitee der SED. Krenz sagte, der Prozeß sei „eine Revanche dafür, daß die alte BRD im Sport schlechter dastand als die DDR“.
Ob der Prozeß wirklich erst der Anfang ist und die Beweiskette so lang wird, daß am Ende manche im Gerichtssaal die Plätze wechseln müssen, wird sich zeigen. Es laufen Ermittlungen gegen etwa 680 Verdächtige. Nach dem Schwimmen sollen Leichtathletik, Kanufahren und diverse andere Sportarten aufgearbeitet werden. Richter Hansgeorg Bräutigam, einst im Fall Honecker wegen Befangenheit ausgestiegen, hat 21 Verhandlungstage vorgesehen. „Es muß“, sagte Bräutigam, als er die Anklageschrift verlesen ließ, „zunächst einmal klar sein, worum es hier eigentlich geht.“ Das wird nicht einfach. Und was das Sensationelle betrifft: Draußen gierten die Mikrophone, im Gerichtssaal drinnen wurde viel gegähnt. pu
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