: Airguitar und Pseudodrums
■ Schwiegersöhne verzückten A-cappella in der Kesselhalle
Man kennt sie von früher. Jene verklemmten Bewegungslegastheniker, die bei jeder Klassenfete in die Mitte des Tanzsaals stürmten, sobald „Smoke on the water“aus den Boxen dröhnte. Dort standen diese pubertierenden Grobmotoriker dann, verzogen kniewippend die Mundwinkel, während sie wie irr auf virtuelle Gitarren und abwesende Schlagzeuge eindroschen und sich dabei, gruppendynamisch wertvoll, gegenseitig kollegial die Schultern einschlugen. Jungs halt, die zeigten, daß sie sich mögen und wohlfühlten.
Auch aus Jungen werden Männer. Was sich nach außen in der Regel durch schwindenden Kopfbewuchs und wachsenden Bauchumfang dokumentiert. Aber innerlich – innerlich bleiben sie unverändert Jungen, permanent auf dem Sprung, die Welt schon im nächsten Augenblick mit einem geilen Airguitarsolo zu beglücken. In Göttingen haben acht dieser jungen Männer eine Selbsthilfegruppe gegründet. Sie nennen sich „Die Schwiegersöhne“und touren, wie jüngst im Schlachthof zu erleben, als A-cappella-Gruppe durchs Land. Dort übten sie sich in der Kunst des unbegleiteten Männergesangs – eine nach kurzer Zeit leicht durchschaubare Tarnung dafür, armwedelnd und gesichtsverzerrend ihrer eigentlichen Leidenschaft nachgehen zu können. Nun nicht mehr in der Mitte eines Tanzsaals, sondern in der Bühnenmitte, umgeben von hunderten von kreischenden und johlenden Menschen.
Ausgelassene Stimmung ist offenbar ein Markenzeichen für A-cappella-Konzerte. Prophylaktisch lachte sich das Publikum fortwährend halbtot. Nicht etwa, weil den Schwiegersöhnen z. B. per Elvis-Parodie oder den Vortrag des Dschungelbuch-Geierliedes ein wirklich guter Scherz gelungen war. Sondern offensichtlich einfach so, weil's per se lustig ist, dieses heillos verrückte Leben.
Zwischen Gershwins „It ain't necessarily so“, „Lucy in the sky with diamonds“von den Beatles und Neuer Deutscher Welle surften die Göttinger Acht gekonnt und vor allem mit durchweg originellen Arrangements durch alle musikalischen Stile. Eine politisch korrekte Version eines Jägerliedes, bei dem der Flintenträger einem hungrigen Mörderhasen zum Opfer fiel, erfreute die Hörmuschel ebenso wie eine nette Version des üblen Sailor-Magentreters „A glass of champagne“. Kurz nach der Pause wurde uns Sündigen vor Rührung gar richtig feucht um die Hostie, als ein erleuchtetes Trio ein Kirchenlied mit viel „pietà“und „grazie“zu Gehör brachte. Da verzieh man gnädig, daß dieselben Leute gemeinsam mit dem Rest der Gruppe sich vor der Pause minutenlang an „California Dreamin'“versucht hatten, ohne frühzeitig die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens einzusehen.
Aber daß es den Schwiegersöhnen zum Abschluß gelang, per Talking Heads-Imitation einen ganzen Saal erwachsener Menschen zu wilden Hampelmännern mutieren zu lassen, ist eines der großen Geheimnisse, die Künstler, wie auch immer sie sonst daherkommen, so anbetungswürdig macht. Nobody knows the trouble I've seen – und trotzdem gut amüsiert dabei. zott
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