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Talken für die Opfer

■ Wenn Verbrecher für Exklusivinterviews oder Talkshows Geld bekommen, sollen sie das künftig an die Opfer weiterüberweisen müssen

„Achtung, hier spricht Dagobert“ hieß die Überschrift. Es war nur ein kleiner Artikel, den Kaufhauserpresser Arno Funke nach seiner Verurteilung 1996 für die taz schrieb, und es war nur ein klitzekleines Honorar. Andere Verbrecher kassieren in ganz anderen Medien viel größer ab – für Talkshowauftritte, Exklusivinterviews, Fotos. Das soll ein Ende haben.

Ob klein, ob groß, der „Lohn der bösen Tat“ soll künftig den Opfern zugute kommen. So beschloß es Anfang des Monats einstimmig der Bundestag. Wenn StraftäterInnen den Wirbel um ihre Person in den Medien verwerten, können ihre Opfer künftig auf die ausgehandelten Honorare zurückgreifen. Morgen wird das Opferanspruch-Sicherungsgesetz (OASG) im Bundesrat abschließend beraten. Mit allgemeiner Zustimmung wird wiederum gerechnet.

Betroffen sind „Medienstars“ wie etwa der Oetker-Entführer Dieter Zlof. Jüngst veröffentlichte er mit Hilfe einer Journalistin seine Biographie (inklusive erstmaligem Tatgeständnis). Ein anderer ist „Kreml-Flieger“ Matthias Rust, der später eine Krankenschwester niedergestochen hatte. Auch seine Geschichte wurde von einer Profi- Journalistin vermarktet.

Kein Geld mehr für die Wiederaufnahme?

Die Honorare aus derartigen Buchverträgen, bezahlten Interviews und Talkshow-Besuchen sollen künftig die Verbrechensopfer zur Deckung ihrer Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen pfänden können. Das neue Gesetz räumt ihnen Vorrang vor anderen Forderungen ein. Bisher gingen die Opfer nämlich häufig leer aus, weil die Honorarforderungen bereits anderweitig abgetreten waren, manchmal an EhegattInnen oder sonstige nahestehende Personen, meist aber an RechtsanwältInnen, die sich derart ihre Gebühren sicherten. Man könnte deswegen einwenden, Verurteilte wären nur durch solche Medienverträge in der Lage, sich teure Anwälte für ein Wiederaufnahmeverfahren zu leisten – und damit auch nach der Verurteilung noch zu ihrem Recht zu kommen.

„Hauptsächlich politische Symbolik“

So wie Monika Böttcher im Mordfall Weimar (siehe Kasten unten). Beim Deutschen Anwaltverein (DAV) hat man gegen das Gesetz dennoch keine Einwände. „Das betrifft nur eine verschwindend geringe Anzahl von Fällen“, betont DAV-Vorstandsmitglied Georg Prasser, „wenn deshalb extra ein Gesetz gemacht wird, dann ist das vor allem politische Symbolik.“ Von den Initiatoren wird der Symbolcharakter der Neuregelung auch gar nicht bestritten. „Das Gesetz ist ein Signal für mehr Opferschutz“, heißt es etwa im bayerischen Justizministerium. Hermann Leeb, der Münchener CSU-Justizminister, hatte das Gesetz im Oktober 1996 auf den Weg gebracht. Mit „etwa zehn bis fünfzehn“ Anwendungsfällen pro Jahr rechnet man in München.

Vermutlich hat dem bayerischen Justizministerium auch der ganze Rummel um das zwanzigjährige Jubiläum des „Deutschen Herbsts“ nicht gefallen. Zahlreiche Ex-TerroristInnen plauderten in Talkshows und veröffentlichten Bücher. Die Schadensersatzansprüche von Opfern verjähren allerdings erst nach dreißig Jahren. Rückwirkend soll das Gesetz dennoch nicht angewendet werden: Ist das Honorar bereits an jemand anderen ausbezahlt, kann jener es auch behalten.

Eine neue Sanktion ist mit dem Gesetz nicht verbunden. Denn das Honorar kann von den Opfern nur gepfändet werden, soweit tatsächlich Ansprüche bestehen. MörderInnen können da unter Umständen mehr von ihren Medienhonoraren behalten als jemand, der sein Opfer zum lebenslangen Pflegefall machte. Die größten Schadensersatzforderungen lasten ohnehin auf Wirtschaftsverbrechern wie dem Baulöwen Jürgen Schneider.

Falls Schneider seine Memoiren schreibt oder Exklusivinterviews gibt, könnte durchaus auch die Deutsche Bank zu den nun besonders geschützten „Opfern“ zählen. Um zu verhindern, daß unter den Geschädigten nur die gewieftesten zum Zuge kommen, hat das neue Gesetz Vorsorge getroffen: Alle Opfer, die sich rühren, werden gleich behandelt und anteilsmäßig ausbezahlt.

Medien dürfen weiter Verträge schließen

Auf die Medienwelt soll das Gesetz keine Auswirkungen haben. Auch mit StraftäterInnen dürfen weiter Verträge geschlossen und Honorare ausgehandelt werden. Damit Sender und Verlage nicht in zivilrechtliche Streitigkeiten hineingezogen werden – oder gar zweimal bezahlen müssen – können sie das vereinbarte Honorar einfach beim nächsten Amtsgericht „hinterlegen“. Dennoch hofft Gesetzesinitiator Hermann Leeb, „daß sich die Medien in Zukunft ihrer ethischen Verantwortung bewußter werden“. Christian Rath

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