: Lorbeer für die Kunst des Trauerns
■ Für einen wie Orpheus ist Liebe bloß Inspiration, meint Christof Loy und zeigt es in seiner neuen Bremer Inszenierung von Christoph Willibald Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“
Orpheus und Eurydike sind seit der Entstehung des vorgeschichtlichen Mythos, seit der ersten Literarisierung durch Ovid, seit der ersten Oper der Musikgeschichte durch Claudio Monteverdi, seit der folgenschweren Reformoper durch Christoph Willibald Gluck neben Romeo und Julia vielleicht das Liebespaar schlechthin. Aber Orpheus, der seine zweimal tote Geliebte mit seinem Gesang wieder ins Leben zurückruft, hat im Gegensatz zu Romeo einen Beruf: Er ist Sänger, und ein so guter, daß er mit seiner Kunst Furien besiegen kann. Seine Kunst ist seine Existenz, und seine (bürgerliche) Liebe ist dem großen Sänger höchstens Quelle der Inspiration: Das meint der Regisseur Christof Loy, der mit „Orpheus und Eurydike“von Christoph Willibald Gluck im Theater am Goetheplatz jetzt seine vierte Einstudierung präsentiert.
Er beginnt mit einem ebenso überraschenden wie überragend deutlichen Eingangsbild. Eine moderne Beerdigungsgesellschaft wird dirigiert vom Ehemann der Toten, von Orpheus. Er hantiert geschäftig mit seinem Notenbuch und ist eigentlich schon vom ersten Bild an innerlich orientierungslos. Die Gesellschaft fordert den trauernden Ehemann, der aber eigentlich nur Impulse für seine Kunst im Kopf hat. Diesen Ansatz, der weniger die Aktualisierung einer barocken Oper als eine These über die Bedingungen der Produktion von Kunst und der Macht der Musik ist, gestaltet Loy wie ein glasklares Kammerspiel durch.
Fredrika Brillembourgs Orpheus ist ein verzweifelter Narziß, der so schön singt, daß man es kaum glauben mag: Die Bravourarie mit ihrer atemberaubenden Kadenz im ersten Akt muß ja auf die Unterwelt – hier die von Jacqueline Davenport choreographisch intensiv verzerrte Gesellschaft – wirken. Und die Wunschkonzertarie „Ach, ich habe sie verloren“nach Eurydikes erneutem Tod singt Orpheus fast wahnsinnig, um sich anschließend selbst den Lorbeerkranz, den er wie einen Hut immer bei sich hat, aufzusetzen: Läßt er seine Frau sterben, um noch einmal so singen zu können? Faszinierend, wie Brillembourg das Schillernde, das Ambivalente dieser Figur anschaulich macht.
Auch Kristen Strejc als von Orpheus funktionalisierte Eurydike, ebenso verwirrt und einsam wie berechtigt anspruchsvoll und fordernd, überzeugte darstellerisch und gesanglich – im Elysium war diese Frau ebenso wenig wie Orpheus. Laura Peddersen ist als Amor weit davon entfernt, es schon gut nach dem Willen der Götter zu richten, und repräsentiert als Spiegel und Schatten des Orpheus einmal mehr die zeitlose Problematik der Geschichte.
Für diese szenische Interpretation wirkte die Musik nicht als Untermalung, sondern trägt ihrerseits dazu bei. Denn Rainer Mühlbach hat mit dem Orchester einen Versuch gemacht, mit Fakten der historischen Aufführungspraxis zu arbeiten: erfolgreich. Da hörte man – waren einige Eingangswackler vergessen – heftige Akzente, durchbrochene Linien, plötzliche Risse, lange Fermaten, unerwartet getriebene Tempi. Diese Art von Musik gilt so nicht als emotionaler Weichzeichner, sondern als harte Sprache, die natürlich Hector Berlioz in seiner hier gespielten Bearbeitung sorgfältig erhalten hat. Das Happy end, das der Librettist Calzabigi entgegen der mythischen Überlieferung, entgegen auch der dramatischen Logik, aber nach den ästhetischen Erfordernissen der Zeit anklebte, nutzten Loy und Davenport zu einem grandiosen Finale: Die Gesellschaft, zu der Orpheus als liebender Gatte nun wieder gehört, erlebt er als wahnsinnig machend, dort kann er sich erst recht nicht einrichten. Das karge kastenartige Bühnenbild enthielt einen symbolträchtigen Wassergraben (Bernhard Hammer), der Chor sang seine Partien mit der notwendigen Bedrohlichkeit.
Diese Inszenierung ist die letzte Dramaturgiearbeit von Dietmar Schwarz, ohne den die Bremer Oper nicht die Geltung hätte, die sie jetzt überregional wieder hat. Dietmar Schwarz ist zu gratulieren: Er geht als Operndirektor nach Mannheim. Das Niveau, für das er hier gesorgt hat, ist Setzung und Verpflichtung. Riesenjubel, besonders für Fredrika Brillembourg.
Ute Schalz-Laurenze
Aufführungen: heute sowie am 6., 9., 16. und 18. April, 19.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen