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Den Supermann sollen andere spielen

Ein spröder Wahlkämpfer tourt durch Sachsen-Anhalt: Joschka Fischer macht es seinen Fans im krisengeschüttelten Osten nicht leicht. Statt in der Menge zu baden, predigt er die wirtschaftlich-soziale Erneuerung  ■ Aus Halle Constanze v. Bullion

Einen gemütlichen Abend unter Freunden haben viele erwartet. Eine neue Folge aus der witzig- spritzigen Joschka-Serie, die sonst in knackigen Häppchen über den Bildschirm flimmert. Doch was am Montag abend im Steintor-Varieté von Halle gesendet wird, ist eher ein anspruchsvoller Politthriller. „Wenn wir angesichts der Herausforderung durch die Globalisierung nicht nach neuen Wegen suchen, werden wir zurückfallen“, beschwört der Redner sein Publikum. Wie Kräne angeln die Arme durch die Luft, rudern und ringen und stoßen die Zuhörer in die unwirtlichen Niederungen bundesdeutscher Wirtschaftspolitik. „Die sozialen Sicherungssysteme gehen unter der Last der Arbeitslosigkeit in die Knie. Diese Last muß umfinanziert werden, auch durch die Energiesteuer“, ruft Joschka Fischer. Und leise, fast beschwörend, schiebt er dann die entscheidene Frage nach: „Was sind Sie bereit, dafür zu tun?“

Joschka Fischer macht es seinen Fans nicht leicht. Spöttisch und manchmal eine Spur zu akademisch präsentiert er sich den Wählern von Sachsen-Anhalt. Gerade mal vier Prozent werden den Bündnisgrünen hier für die Wahl in drei Wochen prophezeit, doch der bündnisgrüne Fraktionschef denkt nicht daran, irgend jemandem nach dem Mund zu reden. Kein Posieren vor beschaulicher Kulisse, keine kumpelhaften Worte für die Schaulustigen am Straßenrand, das Bad in der Menge ist dem eigenwilligen Parteistrategen wesensfremd. Den Supermann sollen anders spielen, die Grünen stehen stürmische Zeiten durch. Daß sich nach ihrem Fünf- Mark-Debakel nun auch die Union in Sachen Enegiesteuer streitet, sorgt allerdings für Auftrieb. Und für Partystimmung im Reisebus voller Journalisten, mit dem der Grüne seit Montag durch Sachsen-Anhalt tourt.

Dabei führt die Fahrt nicht gerade durch eine bündnisgrüne Oase. Romanische Kirchen, marode Fachwerkidylle, vor allem aber Chemiewerke prägen das Gesicht von Sachsen-Anhalt. An den Fenstern des Reisebusses rauschen die Ruinen der Schkopauer Chemie-Industrie vorbei. Seit der Wende wird hier „rekonstruiert“, das heißt abgerissen, zerlegt, entsorgt. Umgeschulte Arbeiter im Blaumann zersägen die verkrusteten Stahlsilos, die von der weltberühmten DDR-Dreckschleuder in Leuna übriggeblieben sind. Fischers Bus rollt durch eine Mondlandschaft, deren Bewohner nur ein Thema kennen: Arbeit.

Jeder vierte ist hier ohne Job, und von den 200.000, die zu DDR- Zeiten in Leuna beschäftigt waren, wird der neue Investor am Ende bestenfalls 3.000 Lohn und Brot geben. Der US-Konzern Dow Chemical, der die Buna Sow Leuna (BSL) seit 1995 auf Vordermann bringt, hat den grünen Wahlkämpfer eingeladen. Doch statt rüder Wortgefechte pflegt man freundlichen Austausch.

Der US-Konzern hat Kummer mit der Energie

Fischer werden Erfolgsbilanzen vorgelegt: 94 Prozent der Mitarbeiter stammten aus den neuen Ländern, um 85 Prozent habe man in den neuen Werken die Unfälle reduziert, geringer seien auch giftige Emissionen. Das allerdings habe vor allem mit der Schließung alter Werke zu tun. Es geht voran, erklärt BSL-Geschäftsführer Bart Groot seinem Gast, „das einzige, was uns Kummer macht, sind die hohen Energiepreise“.

Strom kostet im Osten fast doppelt soviel wie im Westen, erfährt Fischer dann. Wie solle man eine vergleichsweise „saubere“ Chemie-Industrie im Osten aufbauen, wenn ein so wesentlicher Rohstoff wie Strom derart teuer sei, fragt man ihn. Der grüne Fraktionschef antwortet wie ein gestandener Marktwirtschaftler. Er halte „gar nichts“ davon, die Energiepreise zu subventionieren wie etwa in Frankreisch, wo Strom viel billiger ist. Die besonders hohen Preise seien dem Strommonopol westdeutscher Energieriesen in Ostdeutschland zu verdanken. Im übrigen hätten die hohen Kosten doch einen nützlichen Spareffekt bewirkt: „Der Kostendruck“, folgert Fischer, „führt zu einer Intensivierung der Energiewirtschaft. Statt auf die Verdrängung von Chemiearbeitsplätzen zu drängen, müssen wir für eine ökologische Optimierung sorgen.“ Lohnkosten runter, Energiekosten rauf, damit endlich wieder eingestellt wird: So heißt das Rezept, mit dem Fischer seit Wochen hausieren geht. Nicht als weltfremde Ökos, sondern als wirtschaftlich-soziale Erneuerer verkaufen sich die Bündnisgrünen. Und das nicht ohne Erfolg. „Ich verbringe keine schlaflosen Nächte wegen unserer Wahl“, sagt Heidrun Heidecke, die bündnisgrüne Umweltministerin von Sachsen-Anhalt gelassen, „im Moment kehrt sich die Stimmung ja eher wieder um“. Daß sie pragmatisch ist statt programmatisch, daß sie zum Standort Leuna steht, trotz häßlicher Chlorindustrie, das hat ihr Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) hoch angerechnet. Die Wähler allerdings, die wollen überzeugt werden.

Seit die Union streitet, steigt die Stimmung

Kaum ein Platz ist noch frei, als Joschka Fischer abends nach Halle kommt. Einen Marathonlauf mit dem DDR-Sportidol Waldemar Cierpinski hat er da schon hinter sich und einen Besuch in Röcken, im Geburtshaus von Friedrich Nietzsche. „Ein zwiespältiger Eindruck bleibt“, schreibt er ins Gästebuch – und meint Nietzsches Lebenswerk. Eine Reporterin will dagegen lieber wissen, wie denn sein „erster Eindruck von den neuen Ländern“ sei. Doch Fischer winkt ab und marschiert in Richtung Reisebus. „Los, Aufbruch, abfahren“, ruft er seinen Mannen zu. Diesem Mann kann es nicht schnell genug gehen.

„Den Aufbruch wird es nur mit uns geben“, ruft Fischer abends seinem Publikum zu, „aber wir Grünen machen es den Wählern nicht so leicht.“ Daß die „Globalisierung eine riesige Chance bedeutet“, aber Arbeitsplätze nicht zum Nulltarif zu haben sind, bringt er seinen Zuhören scheibchenweise bei. Fischer greift an, provoziert, auch die eigenen Leute. Ein gemütlicher Abend wird es nicht. Das Publikum jubelt trotzdem.

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