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Blumen aus Chile, Schweizer Felsen

Der Kunstverein Düsseldorf zeigt zwei Vertreter der ersten Generation der Land art  ■ Von Matthias Kampmann

Wo beginnt Landschaft, wo endet sie?“ Diese Frage stellt Peter Hutchinson in einer seiner Fotoarbeiten, die jetzt im Düsseldorfer Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen gemeinsam mit Werken von Hamish Fulton zu sehen sind. Beide beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Kunst, Natur und Landschaft: Während der 1930 geborene Hutchinson allerdings Fotocollagen in traditioneller Rahmung zeigt, bemalt Fulton, Jahrgang 1946, eine Stirn- und Längswand mit sechs großformatigen Arbeiten.

Auf der über 40 Meter langen Fläche reihen sich Fultons Wandmalereien ohne Trennlinie oder Rahmen aneinander. Man könnte meinen, daß es sich um eine einzige durchlaufende Komposition handelt. Da sieht man beispielsweise das japanische Zeichen für Berg: Gleich nach der Endzeile auf dem beschrifteten Bild „Japan October 1995“ ist nebenan auch noch die dazugehörige Kurzbeschreibung eines Gangs durch eine bestimmte japanische Landschaft zu lesen. Offenbar gibt es ein reales Pendant zur künstlerischen Fiktion. Allerdings ist ebenfalls klar, daß der Betrachter, sofern er sich nicht mit dieser Landschaft auskennt, keine Chance haben wird, das Dargestellte nachzuvollziehen. Die gesamte Bildreihe bleibt abstrakt, wo ist da zwischen Lettern und Zeichen die Landschaft?

Hamish Fulton markierte mit seinen Schriftwänden schon in den siebziger Jahren eine Veränderung des Begriffs von Land art: „Ich greife nicht direkt in die natürliche Umwelt ein, ich arrangiere keinerlei Elemente neu, ich entferne nichts, verkaufe nichts, lege nichts zurück, grabe nicht, wickle nichts ein und zerschneide nichts mit lauten Maschinen.“ Während frühere Land-art-Künstler die Welt modifizierten, um Phänomene der Natur anhand bestimmter Gesichtspunkte deutlich zu machen oder um die Natur überhaupt als Medium für die Kunst zu nutzen, bleibt Fulton gegenüber solchen Übersetzungsprozessen skeptisch. Zwischen Zeichen und Bezeichnetem findet bei ihm keine Vermittlung mehr statt. Letztlich muß sich der Betrachter selbst zu dem Dargestellten in Beziehung setzen, er produziert die Vorstellungen, er produziert seine Landschaften.

Von dem im Kunstverein monumental inszenierten Ansatz, der in private Lesarten mündet, ist es ein gewaltiger Schritt zu den privat anmutenden und scheinbar traditionellen Arbeiten von Peter Hutchinson. Die Konfrontation der beiden Positionen ist ein dialektischer Kunstgriff des Kurators Raimund Stecker: Während Fulton den Betrachter seine Welt nach konkreten Vorbildern konstruieren läßt, konstruiert Hutchinson in seinen Collagen artifizielle Landschaften ohne reales Pendant. Gemeinsam ist beiden Künstlern also lediglich die Betonung der Konstruktion von Wirklichkeit.

Dabei bedient sich der in London geborene Hutchinson keineswegs der neuen Medien bei der Bildproduktion, sondern klebt noch herkömmlich eine genau festgelegte Anzahl von Fotografien zu Tableaus. Die Übergänge innerhalb der Landschaften liefert er scheinbar stümperhaft mit Farbstiften: „In meinem Garten gibt es Orte, die ich nie aufsuchen kann. Nicht nur daß sich dort Gewächse aus Chile und Indien finden, ja aus allen Ländern, nein auch Gebirgsketten aus der ganzen Welt, der Schweiz und aus England“, so Hutchinsons Bildphilosophie.

Zu den fiktionalen Bergidyllen gesellen sich kleine Texte, die am unteren Rand der Arbeiten in feiner Handschrift zu lesen sind. In den Texten werden die Bildtitel gleich mitverarbeitet. Eine Serie hat Hutchinson beispielsweise „Stabreim Bilder“ genannt – der Titel gibt die Anfangsbuchstaben aller im Text verwendeten Wörter vor. „Mir wurde klar, daß meine Arbeit sich um das drehen sollte, was ich kannte und was mich bewegte. Daher waren die beiden Hauptthemen Natur und Sprache“, kommentiert Hutchinson seine künstlerische Vorgehensweise. In seinem Bezeichnungsverfahren wiederum tauchen surreale Momente auf, die Texte ergeben mitunter keinen Sinn (was man jedoch nicht mit Unsinn verwechseln sollte). Die Wörter werden einfach wie die Landschaftsbilder in den Collagen zusammengefügt.

Auf diese Weise führt Hutchinson den Betrachter in die Irre: Obwohl die Fotos klassisch konzipiert sind, werden sie durch die „Perspektivlosigkeit“ der Collagetechnik ad absurdum geführt. Mit den Texten verhält es sich gleichermaßen, auch hier gibt es nur scheinbar eine Ordnung und sehr viel Verwirrung, wenn man genauer nachliest. Am Ende muß man sich trotz der realistischen Vorgaben bei Hutchinson ebenso wie bei Fulton die Landschaft selbst herstellen. Darin treffen sich die beiden Land- art-Künstler trotz der unterschiedlichen Ausdrucksformen.

Bis 10. Mai, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf

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