: Nasentupfer mit Ostgefühl
Ein Besuch im Florena-Werk – 15 Jahre nach meinem Weggang. Die Arbeiterinnen tragen noch immer „ihren Karton“. Anfang Mai startet die Werbeoffensive Richtung Westen ■ Von Heike Möhler
Florena, das war schon zu DDR-Zeiten mehr als ein Firmenname. Fast niemand kam ohne einen Tupfer der gleichnamigen Allzweckcreme über den Tag. Florena, die Hautcreme aus Waldheim bei Leipzig – das war die Nivea des Ostens. Nicht zu vergessen die Seife, das Schaumbad und die Rasiercreme. Wobei letztere bei DDR-Punks besonders beliebt war, um sie sich zwecks besseren Halts in die Haare zu schmieren.
Das Geschäft mit Florena-Produkten floriert wieder. Im Osten Deutschlands finden sich die weiß-blauen Florena-Tiegel und -Tuben immer öfter in den Einkaufstaschen. Die Marketingabteilung plant jetzt eine Offensive Richtung Westen. Anfang Mai wird für „Florena Face Care“ bundesweit in Frauenzeitschriften wie Tina und Brigitte geworben.
Ich selbst kenne Florena nicht nur von Kindheit an aus dem Badzimmer meiner Eltern: denn die Seifenproduktion der Florena Cosmetic GmbH liegt im ehemaligen Industriegelände von Döbeln, der Stadt, in der mein Elternhaus steht. Vor der Wende waren die Straßen um den Ostbahnhof morgens um sechs voller Arbeiterinnen und Arbeiter, denn dort entlang ging es zu den umliegenden Betrieben.
Die ersten, allerdings ernüchternden Erfahrungen mit der heimischen Kosmetikproduktion machte ich während der „Unterrichtstage in der Produktion“. Dieses Fach, kurz UTP genannt, war ab der siebten Klasse Pflicht, und so saß ich damals mit meinen Klassenkameradinnen am Fließband und verschloß kleine Parfümflaschen mit Gummistöpseln und Schraubkappen. Besonders beliebt war dieses stark duftende Parfüm nicht nur als Exportgut in die UdSSR, sondern auch als Geschenk.
Wohl weniger wegen des Dufts, als wegen des unschlagbaren Preises von einer Mark. Auch ich kaufte von meinem Taschengeld die kleinen Flaschen mit Aufschriften wie „Maiglöckchen“ und „Rose“. Ob zum Geburtstag oder zum Frauentag, meine Mutter beteuerte regelmäßig, wie sehr sie sich darüber freue.
Unverhofft kehrte ich noch einmal für ein Jahr zu Florena zurück. Ich hatte meinen Traumstudienplatz in Medizin nicht bekommen und suchte nach einer Alternative. Florena bot sie mir. Ein Jahr Praktikum im Vertrieb, dann Delegierung zum Betriebswirtschaftsstudium. So widmete ich Florena schließlich meine Diplomarbeit: „Absatzstrategie zur Sicherung des Rasiercremeexportes des VEB Florena Waldheim-Döbeln.“
15 Jahre sind seitdem vergangen. Für einen Tag bin ich zu Florena zurückgekehrt – bepackt mit Mikrofon und Aufnahmegerät. Beim Gang über das Gelände holt mich die Vergangenheit ein. Die Spinde, der Waschraum, der Eingang zur Produktionshalle stehen offen. Die Anlage, in Kennerkreisen Zug 1 genannt, ist noch die gleiche wie vor Jahren. Von den fünf Frauen, die an diesem Zug arbeiten, erkenne ich drei. Sie haben sich kaum verändert, und auch ich werde sofort erkannt.
Auch der Geruch ist mir vertraut. In einer Seifenfabrik riecht es nicht nach Seife, es stinkt danach. Die Arbeiterinnen haben wie vor Jahren Kittelschürzen an, neben jedem Arbeitsplatz steht der „ganz persönliche Seifenkarton“. In dem werden das Frühstück, die Kaffeetasse und das Portemonnaie aufbewahrt. Wenn die Frauen aus den Umkleideräumen kommen und an ihre Maschinen gehen, haben sie alle diesen „persönlichen Karton“ unter dem Arm. Das war immer so und wird wohl auch so bleiben.
Das Prachtstück des Döbelner Betriebsteils ist der Zug 3, eine helle, saubere Halle. Die Geräusche sind gedämpft. Wie von Geisterhand rutschen aus einem Silo Seifenspäne in den Mischer, dazu fließt eine Emulsion. Nach dem Mischen, dem Passieren der Strangpresse und der Schneidemaschine sind die Konturen der Seifestücke erkennbar, die durch die Formpresse noch verfeinert werden. Einziger Mensch in dieser Halle ist Heidrun Thierbach. Sie beseitigt einen Rückstau. Nimmt zwei Seifenstücke, die sich quergestellt haben, aus der Strangpresse heraus und wirft sie wieder in den Mischer. Dann kontrolliert sie die Presse auf Rückstände.
Die rundliche, standfeste Frau ist schon lange im Betrieb, hat in Chemnitz den Beruf ihres Lebens gelernt – Chemiefacharbeiterin: „Diese Ausbildung war mein Wunsch. Ich wollte schon immer was zusammenmischen, ein bißchen wie ein Giftmischer.“
Heidrun Thierbach ist mit Florena verwachsen: „Mein ganzes Leben besteht aus Florena. Das sind nun 25 Jahre. Ich wasche mich mit Florena-Produkten, ich stelle sie her.“ Und sie fühlt sich wohl im Haus: „Wir sind die ganzen Jahre 'ne dufte Truppe.“
Bis kurz vor der Wende hatte der „VEB Florena Waldheim-Döbeln“ insgesamt knapp 700 Beschäftigte. Nach der Wende, noch unter der Ägide der Treuhand, speckte das Werk auf 100 MitarbeiterInnen ab. Inzwischen liegt die Arbeitslosigkeit in der Region bei 20 Prozent, doch bei Florena geht's aufwärts, das Werk hat inzwischen wieder 248 Beschäftige plus 16 Auszubildende.
Fast 90 Prozent der Belegschaft sind Frauen. Sie sitzen nicht nur an den Fließbändern, sondern zu über 60 Prozent auch im Management. Da wären die beiden Exportleiterinnen Export und Inland, die Forschungschefin, die Personal- sowie die Logistikchefin.
Gehören tut die Fabrik jedoch drei Männern, und auf diese „drei H.s“ sind die Kolleginnen aus der Seifenproduktion gut zu sprechen. „Drei H.s“, das kommt von den drei Chef-Nachnamen Hellfritsch, Hübner und Haferkorn. Chemiefacharbeiterin Heidrun Thierbach: „Wenn wir die drei nicht gehabt hätten, gäb's Florena nicht mehr.“
Heiner Hellfritzsch, einer der „drei H.s“, arbeitete vor der Wende schon als ökonomischer Direktor bei Florena. Er hat es mit den beiden anderen „H.s“ gewagt, das Unternehmen 1992 der Treuhand abzukaufen. Hellfritsch: „Wir haben erst richtig gewußt, was wir tun, als wir ein paar Monate später die Kreditverträge unterschreiben mußten.“ Maxime der „drei H.s“: Sie fällen alle Entscheidungen einvernehmlich. Niemals wird einer überstimmt.
Als Glücksfall stellt es sich für das Unternehmen heraus, daß die DDR-Regierung eigentlich Schluß machen wollte mit der Monopolmarke Florena. Die DDR- BürgerInnen sollten in den Genuß von Nivea kommen. Zu diesem Zweck war der kapitalistische Beiersdorf-Konzern als Lizenzgeber gewonnen worden. Im Betriebsteil Waldheim entstand auf DDR- Kosten eine hochmoderne Fabrik, die die westdeutsche Nivea auf Lizenzbasis für DDR-BürgerInnen herstellen sollte.
Doch als die hochmoderne Produktion „ohne Konservierungsstoffe“ losgehen sollte, war die Wende da, und damit stand Nivea automatisch in den Regalen – aus Westdeutschland importiert. Die „drei H.s“ setzten deshalb voll auf Florena. Heiner Hellfritsch: „Wir haben uns nicht verrückt machen lassen. Die Treuhand empfahl uns zum Beispiel, wir sollten unsere Produkte billig machen, um in den Markt reinzukommen. Wir haben aber gesagt: Nivea ist der Marktführer, wir bieten höchstens 10 Prozent drunter an. Das war goldrichtig. Wir haben auch nie unsere Forschungsabteilung ausgewechselt. Die hat uns 1991, '92 und '93 nur Geld gekostet. Aber heute ist sie die Grundlage für neue Erzeugnisse, für Innovationen.“
Auf dem gesamtdeutschen Markt hält die Florena-Creme einen Marktanteil von 4 Prozent, hinter L'Oréal, Proctor & Gamble und Nivea. Auf dem ostdeutschen Markt für Hautcremes behauptet sich Florena mit über 18 Prozent immer selbstbewußter auf Platz zwei hinter dem Marktführer Nivea (31 Prozent). Bei den Rasiercremes ist Florena in Ostdeutschland sogar „absoluter Marktführer“ mit 54 Prozent. Die Stiftung Warentest verwöhnte Florena mit ihren Zensuren: Die Pflegelotion bekam ein „Gut“, das „Pflegeshampoo mit sieben Kräutern“ gegen fettiges Haar ebenfalls. Die „Florena Aktiv Vitalisierende Tagescreme“ für die reifere Haut ab Vierzig holte sogar ein „Sehr gut“. Die Facharbeiterin Heidrun Thierbach blickt ähnlich den „drei H.s“ optimistisch in die Zukunft: „Waschen muß sich jeder. Egal wie.“
Auch ich bin nach einer Zwischentestperiode mit Nivea – jedenfalls bei der Hautcreme – wieder zur guten Florena zurückgekehrt. Tupfe sie meinen Kindern regelmäßig auf die Nase. Florena ist eine von uns und sichert Frauenarbeitsplätze im Osten.
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