: Steine und Tote für das neue Hamburg
■ Dauerausstellung über das Klinkerwerk im ehemaligen KZ Neuengamme eröffnet. Zu Gast waren auch ehemalige Häftlinge
„Auf und nieder gehn die Posten, keiner, keiner kann hindurch ...“Als das Lied von den Moorsoldaten erklingt, erheben sich die Gäste und stimmen ein. Danach herrscht für einen Augenblick Stille in der großen kühlen Halle. Ein alter Mann trocknet seine Tränen. Leise werden die Türen geöffnet, und draußen empfängt die Menschen eine strahlende Frühlingssonne und der Duft blühender Rapsfelder.
Etwa 100 BesucherInnen kamen am Samstag morgen in das ehemalige Konzentrationslager Neuengamme, um der Opfer zu gedenken und die neue Dauerausstellung über das Klinkerwerk einzuweihen. Die zwanzig Stelltafeln der Ausstellung drängen sich etwas verloren in eine Ecke des riesigen Ostflügels des Werks. Doch wenn sich die Beobachterin in die Fotos und Schriften vertieft, füllt sich die Halle mit Bildern und Vorstellungen von eigentlich unvorstellbaren Unmenschlichkeiten.
„Vernichtung durch Arbeit“und wirtschaftlicher Gewinn – diese beiden Ziele konnten die Nazis im Klinkerwerk gut verbinden, erläutert Katja Hertz-Eichenrode, die die Ausstellung mit konzipiert hat. Von 1941 bis 1945 produzierten die Häftlinge in Neuengamme bis zu 22 Millionen Steine jährlich – für die mächtigen Bauten im „neuen Hamburg“, das die Nazis planten. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt bewußt auf den Zeugnissen ehemaliger Häftlinge, denn „technische Details lassen einen die Menschen schnell vergessen“, sagt Hertz-Eichenrode. Statt dessen erfährt man beispielsweise, warum es günstig war, bei den Zimmerern zu arbeiten: „Da oben auf dem Dachstuhl waren wir vor den Schlägen der Aufseher sicher“, berichtet ein polnischer Häftling.
Viele der ehemaligen Gefangenen sind gekommen, aus Polen, Weißrußland, den Niederlanden. Hieronim Kuczynski aus Polen ist zum ersten Mal wieder an dem Ort, an dem ihn die Nazis drei Jahre lang quälten. Als 18jähriger wurde er in seiner Heimatstadt Lodz verhaftet, weil er ein Gedicht über die Freiheit in der Tasche trug.
„Ich wollte sehen, wie es hier heute aussieht“, erklärt er schlicht und zeigt auf den kleinen Hafen des KZs, über dem heute friedlich Vögel zwitschern. Hier mußte er vor 53 Jahren Material für das Werk ausladen, bei Regen und Schnee. „Wir wurden wie Tiere gehalten“, erzählt er, „am schlimmsten war der ewige Hunger“. Fast sachlich schildert der heute 75jährige seine Leiden. Wut verspüre er nicht mehr, „es ist so lange her“. Heute, sagt er zu den BesucherInnen, „freuen wir uns darüber, daß wir leben und nicht hungern müssen“.
Heike Dierbach
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