: Gemeine Realitäten und fiese Kommissare
■ Bremen hat sein erstes veritables Krimi-Festival: Acht Autoren in neun Lesungen
Der Krimi der Neunziger Jahre beweist die Chaostheorie mittels Literatur: Auch das Unüberschaubare hat seine Logik. Bleibt nur noch auszuloten, wer zuerst da war: Mandelbrot und seine Fraktale oder Michael Dibdins mit seinen kriminellen Fantasien. In den Geschichten des 51jährigen Briten heißt der anarchische Kohlweißling, der gemäß Chaostheorie mit seinem sanften Flügelschlag in Südamerika Windhosen produziert, Aurelio Zen und ist Chef des verruchten Hafenkommissariats von Neapel.
Zen will eigentlich nichts anderes, als daß Süditaliens Mafia in Ruhe ihr Handwerk tun möge, damit er sich selbst, glücklich balzend, in seiner Privatwelt einmotten kann. Doch der verdammte Zufall nimmt seinen Lauf und die vielen kleinen und bequemen Lügengeschichtchen des Aurelio Zen produzieren genau das, was er eigentlich verhindern wollte: den Crash seiner kleinen mit der großen Welt – also das, was man gemeinhin Realität nennt. Aufgeschrieben liest sich das ziemlich komisch: Ein Müllauto mit zwei fiktiven Saubermännern, die eigentlich Mafiosi sind, stößt mit einem Polizeiauto zusammen, das gerade einen fiktiven Mafioso transportiert, der eigentlich Polizist ist. „Krach“ macht das, dann macht es „Bumm“ – ein toter Polizist fällt um und Aurelio Zen hat ein Problem.
Bremens Lokalmatador des Krimis, Jürgen Alberts, will nun beweisen, daß das nicht nur als Lektürestoff zum Lachen reizt, sondern auch auf der Bremer Bühne. Gemeinsam mit drei weiteren englischen Autoren und vier deutschen hat er seinen englischen Kollegen Michael Dibdin nach Bremen eingeladen – zu Bremens erstem Krimi-Festival „Prime Time – Crime Time“ vom 6. – 8. Mai. „Lauter lustige Leute“ verspricht Bremens kriminaler Hutträger kämen da zusammen: „Gerade meine englischen Kollegen sind echte Showtalente“. In zwei mal vier zweisprachigen Doppelpacks werden sie sich heute und am Freitag präsentieren; am Donnerstag kommen sie dann alle gemeinsam zur Kriminacht in den Bacchuskeller des Bremer Rathauses: Val McDermid, Ingrid Noll, Sabine Deitmer und Lauren Henderson sowie neben Dibdin und Jürgen Alberts himself noch Colin Dexter und Gisbert Haefs.
Eine Zusammenstellung, die was für sich hat, weil sie quer durchs Genre-Gemüse des modernen Krimis geht. Sicherlich kein Überblick, aber ein paar Einblicke in die Krimi-Vielfalt dieses Jahrzehnts. Bißchen Hausfrauen-Krimi à la Ingrid Noll, bißchen klassische Detektivgeschichte, bißchen hartgesottenener Hammett-Verschnitt bei Colin Dexter und dann noch Michael Dibdin, der sich als einziger der acht Autoren den Sprung in die kriminelle Unübersichtlichkeit getraut hat und daraus Literatur macht: Eben Realitätsverarbeitung mittels Crime Fiction, würde Thomas Wörtche sagen, Deutschlands Instanz für solide Krimi-Analyse.
Also weg mit der Zentralperspektive eines Philip Marlowe, alias Humphrey Bogart. Richtig traurig wird's, wenn Dibdins Antiheld Aurelio Zen diesen Blick aufs Ganze wagt: Seine Verstrickungen werden heillos. Denn Gewalt, auch die mafiose, findet im Neapel des friedliebenden Kommissars nicht in den Außenbezirken der Gesellschaft statt – sondern durch Gewalt stellt sich Gesellschaft hier erst her.
Das Gegenteil glaubt Val McDermids Serienheldin, die Reporterin Lindsay Gordon. Die weiß, daß man sich einsetzen muß für die gute Sache – das Friedenscamp vor dem Stacheldrahtzaun der Atomanlagen zum Beispiel. Das ist sehr wahr und äußerst langweilig zu lesen. Und unter all den Zynikern, die die Krimiliteratur hervorgebracht hat, würde wahrscheinlich Balthasar Matzbach die hämischsten Worte für die Platitüden seiner unsäglich guten Kollegin Lindsay Gordon finden. Matzbach nämlich ist ein mieses, fettes Genie und das Produkt der nicht minder fiesen und hochverfeinerten Phantasien seines Autors Gisbert Haefs. Und nebenbei der Beweis, daß der klassische Detektivroman wunderbare literarische Produkte liefern kann. Haefs ist Deutschlands Borges-Übersetzer, Autor von griechisch-römischen Historienschinken und einer der ersten Krimi-Autoren beim Haffmanns-Verlag (der inzwischen in seiner Krimi-Reihe literarische Machwerke verlegt, die mit dem Genre absolut nichts mehr zu tun haben).
Sein Balthasar Matzbach hat sich mit irgendeiner Erfindung eine mehr als solide Frührente verdient und lebt seitdem als Dandy im Hessischen. Seine Fälle löst er, wie alle guten Nachfolger von Edgar A. Poes Helden Dupin, mit Hilfe seiner pervers verschalteten grauen Zellen; aus Rücksicht auf die verdorbenen Lesergewohnheiten lenkt Haefs seine Geschichten gegen Ende trotzdem ziemlich souverän in die wüstesten Keilereien hinein. In der Polizeiwache der Bremer Neustadt läßt sich das heute bei Haefs Gemeinschaftslesung mit Val McDermid life verfolgen. ritz
Deutsch-englische Krimilesungen in Bremen und Bremerhaven vom 6. - 8. Mai. Eintritt 10 Mark; zur Kriminacht am Donnerstag 15 Mark. Ort und Zeit der Lesungen: siehe Terminkasten auf Seite 22
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