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Bloody Mary

Anfang der neunziger Jahre stand ihr Name auf der Top ten der mächtigsten Frauen der Welt. Tansu Çiller war wie ein Komet zur ersten weiblichen Regierungschefin der Türkei aufgestiegen. Der Medienliebling erwies sich als „eiserne Lady“. Jetzt wird auch noch untersucht, wie Çiller zu ihrem Millionenvermögen gekommen ist. Das Strahlen ist verloschen  ■ Von Ömer Erzeren

Wie berauscht tanzten die jungen Delegierten auf dem Parteikongreß nach Klängen türkischer Disko-Musik. Die Wahl war gewonnen, Tansu Çiller Vorsitzende der konservativen Partei des rechten Weges geworden und trat das Amt des Ministerpräsidenten an.

„Wir haben die schönste Ministerpräsidentin der Welt“, jubelte das Massenblatt Hürriyet. Nicht weniger Ergriffenheit wurde im Westen signalisiert. Chefredaktionen orderten ihre Reporter zu der „schönen Blonden“ am Bosporus. Tansu Çiller wurde als „moderne, westliche Karrierefrau“ gefeiert. In der Zeit war zu lesen: „Mit jedem Interview, mit jedem Fototermin erschüttert sie überholte Klischees einer Türkei von gestern, zerstreut sie Bedenken, ihr Land könnte bald wieder islamistischen Eiferern, nationalistischen Fanatikern, dumpfen Militärs oder großtürkischen Träumern anheimfallen. Sie verkörpert den Siegeszug der städtischen, fortschrittlichen, internationalistischen über die ländliche, rückständige und religiöse Türkei.“

Das war 1993. Fünf Jahre später wird Tansu Çiller von denjenigen, die sie bejubelten, als korrupt und bösartig in Grund und Boden gestampft. Die amerikanischen und europäischen Freunde mögen den Namen der 52jährigen Politikerin nicht mehr hören, seit sie mit dem Islamisten Necmettin Erbakan koalierte. In einem offenen Brief an Frau Çiller, kurz vor dem Sturz ihrer Koalition mit den Islamisten im vergangenen Jahr, schrieb die türkische Tageszeitung Milliyet in einem offenen Brief auf der Titelseite: „Die Panik der Verbrecherin kennzeichnet Sie. Sie suchen nach neuen Kumpanen für schändlich erworbenes Einkommen. Sie stecken im Sumpf. Sie wollen alle aufrechten Personen und Institutionen, die Vertrauen in diesem Land genießen, ruinieren. Das politische System und die Zukunft des Landes sind Ihnen egal. Doch wir werden Ihnen diese Chance nicht geben. Selbst wenn wir von Ihnen ablassen, werden das türkische Volk und die Justiz sich an Ihre Fersen heften.“

Der Wunsch der Zeitung ging in Erfüllung. Der Ehemann der Politikerin, der windige Banker Özer Çiller, steht wegen Urkundenfälschung vor Gericht. Vergangenen Monat stimmte das türkische Parlament der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses über die Vermögensverhältnisse Çillers zu. Der Weg zu einem Verfahren vor dem Verfassungsgericht ist geebnet. Jetzt drohen der Oppositionspolitikerin nicht nur ein Verbot, sich politisch zu betätigen, und das Ende ihrer politischen Karriere, sondern auch Knast.

Doch welch dramatischer Sinneswandel hat sich zugetragen bei den Türken, die diese Frau abgöttisch verehrten und nun auf dem Altar der Rache opfern wollen! Welch ein Sinneswandel auch bei der schreibenden Zunft, die erst heute zu entdecken scheint, wie das Ehepaar Çiller bereits Anfang der achtziger Jahre brave Sparer durch den Konkurs der Istanbul Bank betrog! Und welch Sinneswandel bei vielen westlichen Politikern, die meinen, Çiller habe durch die Koalition mit den Islamisten ihre Ideale verraten und verkauft. – War Çiller etwa ein Phantom, daß solch Trugschlüsse möglich sind? Keineswegs. Nicht Çiller war trügerisch, sondern die, die durch ein Damenopfer die geschichtliche Last der Verantwortung vergessen wollen. Çiller dagegen blieb das Wesen, das sie immer war: ein Mensch, dessen Heiligtum mit dem Begriffspaar Geld und Macht umschrieben werden kann.

Die Dollarmillionärin Tansu Çiller wurde als Tochter eines kleinen Staatsbeamten geboren. Auch Ehemann Özer Ucuran, der nach der Heirat den Nachnamen seiner ehrgeizigen Ehefrau annahm, stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Der Konkurs der Istanbul Bank Anfang der achtziger Jahre – Özer war dort Geschäftsführer, Tansu Çiller Beraterin – war der erste große Schritt auf dem Weg zum Familienreichtum.

Im Schatten der Bajonette nach dem Militärputsch und dem Wildwest-Kapitalismus der Özal-Ära scheffelte Çiller das Geld regelrecht. Der Weg zum Reichtum war denkbar einfach. Wie spätere Gutachten der Konkursverwaltung belegen, vergab Geschäftsführer Özer Çiller großzügig Kredite an eigene Firmen, die nach dem Bankrott der Bank einfach nicht zurückgezahlt wurden. Mehmet Urhan, persönlicher Kurier Çillers zu Zeiten der Istanbul Bank und einer der wenigen Zeugen, die vor Gericht gegen Çiller aussagten, kam 1995 durch einen Bombenanschlag ums Leben.

Die Affäre mit der Istanbul Bank schadete Çiller nicht im geringsten. 1991 rückte die Wirtschaftsprofessorin, die an der US- amerikanischen Elite-Universität Yale studiert hatte, ins Parlament ein. Noch im gleichen Jahr wurde sie Staatsministerin für Wirtschaftsfragen, zwei Jahre später Ministerpräsidentin.

Das Geldscheffeln betrieb sie auch als Ministerin und Ministerpräsidentin munter weiter. Die für Wirtschaftsfragen zuständige Ministerin transferierte Millionenbeträge in die Vereinigten Staaten: Hotels, Einkaufszentren und Immobilien gehören Tansu Çiller. Wieviel Millionen US-Dollar in der Zeit von Tansu Çillers Ministerpräsidentschaft die Taschen wechselten (damals ging es schließlich um Privatisierungen in Milliardenhöhe), ist ebenso unbekannt wie das tatsächliche Vermögen der Çillers.

Die von Çiller stramm geführte Parlamentsfraktion der Partei des rechten Weges gleicht einer durch gemeinsame Wirtschaftsinteressen verbundenen Aktionärsversammlung. Deshalb auch keine Politik ohne kleine Kumpane. Da ist zum Beispiel der Abgeordnete Ömer Bilgin. Als Chef des staatlichen Tourismusunternehmens Turban ließ er nicht nur Çillers Privatyacht auf staatliche Kosten reparieren, er fälschte auch gleich Belege, die die Dienstleistung als bezahlt erscheinen ließen. Bilgin erhielt dafür einen sicheren Listenplatz bei den Parlamentswahlen. Manchmal kam es allerdings auch zu Pannen bei der Auswahl der Kumpane. So im Fall des Betrügers Selcuk Parsadan, der mittlerweile gerichtlich verurteilt im Gefängnis sitzt. Parsadan meldete sich telefonisch bei Çiller und wies sich als pensionierter General aus, der bei den Wahlen auf Stimmenfang für Çiller gehen wolle. Prompt wurden ihm rund 100.000 Mark aus dem Geheimfonds des Ministerpräsidenten ausgezahlt.

Tansu Çiller hat den Türken vorgeführt, wie Politik als Mittel für Bereicherung und Machterhalt eingesetzt werden kann. Immerfort lächelnd, scheint ihr dabei keine Rolle peinlich zu sein: Vor den Wahlen 1995 malte Çiller das Schreckgespenst des islamischen Fundamentalismus an die Wand. „Wenn ich die Macht verliere, kommen die Fundamentalisten“, prophezeite sie und pries sich als „Mutter der Nation“ und „Brustwehr gegen den Fundamentalismus“. Den Islamistenführer Erbakan beschimpfte sie vor den Wahlen als „Heroinhändler“, um nach den Wahlen mit ausgerechnet jenem Erbakan zu koalieren. Denn nur die Koalition mit den Islamisten stellte sicher, daß parlamentarische Untersuchungsausschüsse über Korruption und Amtsmißbrauch, die im Parlament auf Antrag der Islamisten anhängig waren, niedergeschlagen werden konnten. – Bei Cocktailempfängen trinkt Çiller gern eine „Bloody Mary“. Kein Hinderungsgrund, sich wenige Stunden später mit Kopftuch betend filmen zu lassen und vor den TV-Kameras davon zu reden, daß der Prophet Mohammed „das Licht unseres Zeitalters“ ist.

Mit zwei Frauen hat sich Tansu Çiller in Interviews verglichen. „Ich bin wie Jeanne d'Arc. Ich werde in die Geschichte eingehen“, hieß es einmal. Die Pose der „eisernen Lady“, die Fundamentalisten bekämpft und die Türkei in die europäische Modernität führt. Zum anderen stellte sie sich neben Aischa, die Ehefrau des Propheten Mohammed: „Nur alle tausend Jahre einmal wird eine solche Frau wie ich geboren.“

Auch nationalistische, antikommunistische Hetze gehört zu ihrem Repertoire. Doch als die türkischen Großunternehmen es wagten, sie zu kritisieren, sprach sie von den Großkapitalisten als „Blutsaugern der Nation“. Derzeit versucht sie sich in der Opferrolle als Demokratin, die durch einen „Putsch“ der „Medienbonzen“ von der Regierung gedrängt worden sei.

Eine Blutspur durchzieht Çillers Amtszeit: Tausende zerstörte kurdische Dörfer, Millionen Vertriebene. Eine Politik der verbrannten Erde. Tausende von Morden gehen auf das Konto der Todesschwadronen. Exemplarisch erwähnt seien die ermordeten Journalisten der kurdischen Tageszeitung Özgür Ülke, die endgültig durch einen Bombenanschlag auf Verlags- und Redaktionshaus zum Schweigen gebracht wurde. Monate später gelangte ein mit dem Vermerk „geheim“ versehenes Schreiben von Ministerpräsidentin Tansu Çiller an Innenminister Mehmet Agar in die Öffentlichkeit: Darin beklagt sie sich darüber, daß die rechtlichen Mittel nicht ausreichen, um die Publikation der Zeitung zu verhindern, und fordert „effiziente Maßnahmen“. Agar gehört zu Çillers engen politischen Gefährten und ist derzeit wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Den vor zwei Jahren ums Leben gekommenen Killer und Drogenhändler Abdullah Catli (dem Verbindungen zu Agar und Çiller nachgesagt werden) verteidigte sie im Parlament mit den Worten: „Jeder, der für diesen Staat eine Kugel abfeuert, ist ein Held.“

Die feministische Zeitschrift Pazartesi karikierte Çiller einst mit Penis und Schnurrbart: die Rettung des weiblichen Geschlechts durch die Unterstellung, daß eine Frau Männerpolitik betreibe. Aber es gibt auch Journalisten, die sich über den Einsatz ihres Körpers, das innige, stets beidhändige Händeschütteln, über den „vollen Einsatz ihrer Weiblichkeit“ auslassen. Doch darum geht es Çiller nicht: Geld und Macht haben kein Geschlecht. – Voltaire hat Çiller vermutlich nie gelesen, doch weiß sie, daß Europäischsein etwas mit der Aufhebung der Zollschranken für die türkische Textilindustrie zu tun hat.

Der Autor Yildirim Türker traf ins Schwarze, als er schrieb, daß Tansu Çiller eine kollektive Erfindung der Türken sei. Jetzt fordern wir ihren Kopf, um unsere Hände in Unschuld zu waschen.

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