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Rosinenbomber gegen Stalin

50 Jahre Luftbrücke: Die US-Transportmaschinen werden von den Blockade-Berlinern noch immer wie das Goldene Kalb verehrt. 322 Tage Trockennahrung und Schokoriegelbomben  ■ Von Rolf Lautenschläger

Für den Schriftsteller Thomas Brasch geschah in der Nacht vom 12. zum 13. Mai 1949 etwas Gespenstisches. Das hektische WestBerlin schien plötzlich die Luft anzuhalten. Das ewige Rotorengeräusch der Propeller war verstummt. Stille legte sich über die Straßen und Häuser. Am Himmel sah man Sterne statt Stars and Stripes. Unheimliches lag in der Luft. Es war ein Zustand, den man kaum noch kannte, bis jemand, wie von einem tiefen Traum aufgeschreckt, rief: „Sie fliegen nicht mehr. Die Blockade ist zu Ende.“

Braschs „Engel aus Eisen“ ist eine Hymne auf die sogenannten C-54-„Rosinenbomber“, die in den 322 Tagen der Blockade und 140 Tagen der Nachversorgung das Überleben der Stadt sicherten. Sie sind der Mythos aus der Zeit der Luftbrücke, die am 24. Juni 1948 begann. Zwar gilt bis dato das technische und logistische Resultat des Unternehmens als beeindruckend: 278.228 Flüge starteten von Westdeutschland nach Tempelhof, Tegel und Gatow. 536.705 Tonnen Lebensmittel wurden in die Stadt geflogen. 1.586.029 Tonnen Kohle transportierten die Maschinen der US Air Force, der Royal Air Force und der französischen Luftwaffe. Hinzu kamen 202.775 Tonnen anderes Material für Baumaßnahmen, Kleidung und industrielle Produktionen. 380 Flugzeuge waren rund um die Uhr im Einsatz, 38 davon sind dabei abgestürzt.

Doch gemessen an der Bilanz war der Vorlauf für die Rosinenbomberaktion auf der Seite der westlichen politischen Verantwortlichen nicht so great, wie später in Legenden verklärt. Indizien für eine Berlin-Krise hatte es ein dreiviertel Jahr vor der Blockade gegeben: Die Sowjets waren aus dem alliierten Kontrollrat ausgezogen. Zahlreiche Behinderungen auf den Zufahrtswegen und Wasserstraßen nach Berlin folgten im Frühjahr 1948. Als durch die „Londoner Erklärung“ die Bildung eines westdeutschen Staates angekündigt wurde, blockierte die östliche Militärverwaltung die Autobahnbrücke in Magdeburg. Versorgungspläne für die Stadt folgten diesen Schikanen aber nicht.

Erst der Auslöser der Blockade, in Westdeutschland am 24. Juni 1948 eine Währungsreform einzuführen und die Reaktion der Russen, die westlichen Stadtteile gänzlich in eine ostdeutsche Währung miteinzubeziehen, ließ den „Held der Luftbrücke“, Stadtkommandant Lucius D. Clay, handeln.

Als Berlin am Tag der Währungsreform total blockiert wurde, verfügte die Zweimillionenstadt über Lebensmittelvorräte für 36 Tage. Weil der Nachschub erst langsam anlief (zwei Dakota- Transporter lieferten am ersten Tag der Blockade 80 Tonnen Lebensmittel, am dritten Tag 384 Tonnen – viel zu wenig, um auf die kalkulierten 4.000 Tonnen täglich zu kommen), orderte Clay 100 Maschinen aus Alaska, Hawaii und der Karbik.

Die Berliner Schnauze und die Tageszeitungen nahmen die anfängliche Situation mit Humor. „Da es nun einmal eine Blockade gibt, ist es immer noch besser, daß die Sowjetunion uns blockiert und die Amerikaner uns füttern. Man stelle sich vor, es wäre andersherum“, witzelte man in den dunklen kalten Räumen mit leerem Magen. Als „Willi mit der Peitsche“, Generalmayor William Tunner, die Starts und Landungen im Sommer 1948 rigoros im 90-Sekunden- Takt organisierte und die Versorgungsleistung Monat um Monat steigerte – 69.000 Tonnen im Juli, 119.000 im August und an Weihnachten 141.000 Tonnen samt Schokoladenwurfsendung für Kinder – hungerten die Eingschlossenen zwar noch immer bei Trockenfrüchten, Trockenkartoffeln und Trockenmilch. Nachgeben wollte man nicht – im festen Glauben an die C-54-Bomber.

Im Gegenteil. Lebensmittelkarten auf den Ostteil umschreiben zu lassen, galt als Verrat. Und auch den blühenden Schwarzmarkt, den Schieber organisierten, übersah die Polizei vielerorts als Überlebensstrategie. Reuters Ruf in die Welt und Trumans „Wir bleiben“ hatte eine Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt, die antikommunistisch orientiert, es den Russen zeigen wollte.

Es hat geklappt, sie haben es ihnen gezeigt, und davon die berlintypische Belagerungsmentalität „Uns kann keiner“ behalten. Auch nach der Blockade, die endete, als Stalin zugesichert wurde, vor der Gründung der Bundesrepublik eine Außenministerkonferenz abzuhalten, ließ man über die amerikanischen Rosinenbomber nichts kommen. Sie wurden ausgestellt wie das Goldene Kalb. Geärgert hat sich darum die Hungergeneration, als die für jeden anderen Blockadefall angehäuften Lebensmittelreserven 1991 humanitär nach Rußland verschenkt wurden.

Zahlreiche Informationen entstammen dem schönen Bildband „Pioniere der Luftbrücke“, der im Verlag Dirk Nishen 1998 erschienen ist

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