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Putzfrau fürs Kollektiv

Monte Vuala – das einzige Frauenhotel der Schweiz erfüllt die unterschiedlichsten Ansprüche  ■ Von Paula Carega

Walenstadtberg. Die schlafende Göttin sieht man nur bei wolkenlosem Himmel. Dann zeichnen die Gipfel des Churfirstenmassivs die Silhouette einer ruhenden Frau gegen das Blau. Mit angewinkelten Knien liegt sie auf dem Rücken und blickt in den Himmel. Doch den einheimischen Busfahrer kümmert das Naturschauspiel wenig. „Hier müssen Sie aussteigen“, sagt er mit Blick in den Rückspiegel, als der Bus die letzte Kurve nimmt und das Hochplateau erreicht. Zwei Frauen mit Rucksäcken stolpern ins Freie. Es scheint offensichtlich: Fremde, die keine Männer sind und den Weg hierher finden, gehören zum Hotel Monte Vuala. Das einzige Frauenhotel der Schweiz liegt auf 800 Metern über dem Meer in der St. Galler Gemeinde Walenstadtberg; wer von Norden anreist, den führt die Strecke in eineinhalb Stunden von Zürich über Ziegelbrücke entlang dem tiefsten Schweizer See, dem Walensee.

Ein Traum für 90.000 Franken

Zu Beginn war es eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft und die Erfüllung eines Traums. Als 1993 die Stiftung Monte Vuala für ihr damaliges Esoterik-Hotel neue Mieterschaft suchte, zögerten Mona Schümperli, Karin Gehrer und Monika Schwab nicht lange und präsentierten ihre Idee eines Hotels nur für Frauen. Kurz darauf hatten sie den Vertrag in den Händen – ohne Eigenkapital oder Branchenerfahrung. Mit Darlehen von finanzkräftigen Freundinnen gelang es den dreien, innert eines Monats die erforderliche Startsumme von 90.000 Franken zusammenzukratzen. Das Abenteuer Frauenhotel konnte beginnen. Zum Glück sei das alte Holzhaus in einem betriebsbereiten Zustand gewesen, meint Karin Gehrer rückblickend. Trotzdem: „Im ersten Jahr haben wir unsere ganze Kraft in das Hotel gesteckt, für Kost und Logis gearbeitet und alle im Bauernhaus nebenan gewohnt.“ Die ansässige Bevölkerung, Bergbauern, Stadtflüchtlinge und ein paar Ferienhausbesitzer, hat sich an das Hotel gewöhnt: „Wir sind nicht integriert, aber man akzeptiert uns“, meint Mona Schümperli.

Bioprodukte aus der Region

Nach fünf Betriebsjahren ist das Frauenkollektiv ein wenig pragmatischer geworden. Die fünf Frauen zwischen 36 und 46 Jahren zahlen sich einen kleinen Lohn und arbeiten zu 60 oder 80 Prozent. Spätestens diesen Sommer möchten alle in eigenen vier Wänden in der nahen Umgebung wohnen. Privatleben und Eigenheim haben ihren Stellenwert zurückerobert.

Konzentriert kostet Mona Schümperli die Paprikasauce. „Noch nicht scharf genug“, urteilt sie mit dem Pfefferstreuer in der Hand. Tagsüber ist die Köchin und ausgebildete Wirtin oft in den Bergen unterwegs, wo sie nach Heil- und Gewürzpflanzen sucht. Abends kocht die passionierte Kräutersammlerin ein Dreigang- Menü für die Ferien- und Kurgäste, vegetarisch und mit wenigen Ausnahmen aus biologischen Produkten zubereitet. „An Weihnachten gab's Ananas zum Dessert“, gibt sie zu und muß grinsen. Einen Kompromiß macht sie auch bei den Milchprodukten, die zwar nicht biologisch sind, aber alle von Bauernhöfen aus der nächsten Umgebung stammen. Nicht nur hinter dem Herd, sondern im ganzen Haus wird Ökologie großgeschrieben.

Fast das Handtuch geschmissen

Auch heute sind die Frauen nur Mieterinnen des Hotels. Dem Unternehmen stärkt aber inzwischen ein Trägerinnenverein den Rücken. „Die rund 500 Mitglieder, die einen Jahresbeitrag zwischen 70 und 200 Franken bezahlen, spiegeln die Solidarität der Frauenbewegung wider“, sagt Karin Gehrer. Als die Schweizer Hotelbranche Ende 1995 die Rezession zu spüren bekam, blieben auch auf Monte Vuala die Gäste aus. Die fünf Teamfrauen, die den Vorstand bilden, wollten schon das Handtuch schmeißen. Doch der Verein brachte die notwendigen 60.000 Franken zusammen, um das 33-Betten-Hotel aus den roten Zahlen zu holen. Ist die Krise heute überwunden? „Wir müßten 20 Prozent mehr Gäste haben, um selbsttragend zu sein“, so Gehrer, „aber wir machen weiter, solange es irgendwie geht.“

Neben Mitgliederbeiträgen, Spenden und Darlehen, deren Verzinsung in Form von Ferientagen erfolgt, tragen auch temporäre Arbeitskräfte dazu bei, daß dem Kollektiv der Hotelbetrieb nicht über den Kopf wächst: Ein bis zwei Frauen arbeiten für Kost und Logis an fünf Stunden pro Tag während mindestens drei Wochen im Hotel. Ihren festen Platz erobert hat sich auch die Zimmerfee Sigrid Pischel aus Walenstadt unten im Tal. Sie ist zu 20 Prozent als Reinigungsfrau angestellt und hat dem Team vor Beginn ihrer Einstellung Anlaß zu Diskussionen gegeben: „Wir waren uns nicht einig, ob sich eine Putzfrau mit unseren feministischen Grundsätzen verträgt“, sagt Karin Gehrer. Das Kollektiv selbst teilt sich die Aufgaben auf, jede Frau hat einen Bereich, wo sie selbständig wirtschaftet – beispielsweise Finanzen und Rechnungswesen oder Reparaturen und Buchhaltung. Nur Grundsätzliches gehört in die regelmäßigen Teamsitzungen, wo, wenn immer möglich, ein Konsens gesucht wird. Kürzlich haben Lebensmittel mit gentechnisch verändertem Soja für Diskussionsstoff gesorgt: Im hauseigenen Kiosk sind die verdächtigen Schokoriegel inzwischen verschwunden.

Baden und Bergkraxeln

Monte Vuala ist vernetzt mit dem „Füllhorn“, dem losen Zusammenschluß der Schweizer Ökohotels, und den deutschsprachigen Frauenbildungshäusern Europas. Auch in Walenstadtberg finden regelmäßig Seminare und Ausbildungen statt. Das Kursangebot reicht von Sport und Spiritualität bis hin zu Kommunikation oder Kunsthandwerk. Monte Vuala, übersetzt: der Berg am anderen Ufer, ist zudem ein anerkanntes Kurhotel. Mit einem ärztlichen Zeugnis zahlen Krankenkassen auf freiwilliger Basis einen Kuraufenthalt. Möglichkeiten zur Erholung gibt es denn auch genug: entspannen im Liegestuhl, schwitzen in der Sauna oder schweben im warmen Salzwasser des Samadhi- Relaxingtanks. Wem selbst das zuviel ist, zieht sich in den Meditationsraum zurück oder genießt eine Shiatsu-Behandlung. Von den Gästen wird keinerlei Mithilfe im täglichen Hotelbetrieb erwartet – ganz im Unterschied zum ehemaligen Frauenhotel „Villa Kassandra“ im Jura. „Gemeinsam solidarisch ist schön und gut – aber wir wollen die Frauen rundum verwöhnen, wenn sie sich schon einmal Ferien leisten“, kommentiert Gehrer.

Großes Geburtstagsfest

Gäste, die aktiv Erholung suchen, wählen sommers zwischen Baden oder Windsurfen im Walensee; Mutige kraxeln die Berge hoch und schweben per Gleitschirm-Passagierflug ins Tal hinunter. Im Winter ist das Skigebiet Flumserberge per Auto oder Zug in einer halben Stunde erreichbar. „Während die ehemalige Villa Kassandra ein lesbisches und feministisches Zentrum war, sind wir ein richtiges Ferienhotel geworden“, meint Gehrer. Frauen, die Wert auf ganzheitliche Lebensweise legten, würden sich hier oben vom täglichen Trott im Beruf, von Küche und Kindern erholen. Das Kollektiv will in Zukunft verstärkt Werbung im nahen Ausland machen, neben Frauen aus Deutschland will man beispielsweise die holländische Frauenszene ansprechen. Und am 30. April erwachte auch die schlafende Göttin des Churfirstenmassivs: Da fand das Geburtstagsfest zum Fünf-Jahres-Jubiläum statt, mit Walpurgisnacht und Hausausräuchern.

Monte Vuala: Ferien-, Kur-, Schulungs- und Kurshotel für Frauen. Ganzjährig geöffnet. 9 Einzelzimmer, 3 Doppel- und 8 Zweibettzimmer, alle mit fließend Kalt- und Warmwasser. Preise pro Nacht und Frau: Zweibettzimmer: zwischen 90 und 108 Mark, Einzelzimmer und Doppel-Suite: zwischen 104 Mark und 146 Mark. Alle Preise inklusive Halbpension.

Monte Vuala, CH-8881 Walenstadtberg, Tel.: +41 081 7351115 (10–12.30 Uhr, 16–18 Uhr, Fr. und Sa. zusätzlich 20–21 Uhr);

Fax: +41 081 7351115 (13–16 Uhr,

18.30–20 Uhr, 21–10 Uhr)

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