: Duftmorde unter kleinen Leuten
■ Eine duftige Variation von Patrick Süskinds „Das Parfum“ im Figurentheater im Packhaus
MenschInnen, die sich Puppentheater angucken, sind gute MenschInnen. Zumindest geht die Mannschaft vom „Theatrium“, dem Puppenspieltheater im Packhaus, an der gar nicht so Wüsten Stätte Hausnummer 11, von einem dergearteten Zusammenhang aus. Wie sonst könnten sie neben einer Batterie von Bier- und Saftflaschen ein Schild mit der Aufschrift „Selbstbedienung“ plazieren, daneben ein Körbchen, wo 20-Mark-Scheine frei und verführerisch herumflattern.
Der große kleine Kosmos der Papiermenschen hat etwas Anrührendes. Schließlich sind wir alle Papiermenschen und sitzen fest in riesig-winzigen Welten. Das wissen alle Guten. Und so stellte sich auf etlichen der rund 80 Premierengesichtern bald ein dahinschmelzungsbereites Lächeln ein, das sich auch durch diverse Schrecken bis zum Ende der Aufführung, kurz vor 23 Uhr, nicht vertreiben ließ.
Für die Bühnenadaption von Patrick Süskinds „Das Parfum“ greifen die zwei PuppenanimateurInnen Katrin Krebs und Detlef Heinichen auf die Tradition des japanischen Bunraku-Spiels zurück. Das ist bevölkert von halb- bzw. dreiviertel lebensgroßen Puppen.
Deren dunkel gekleidete „Bediener“ werden nicht schamhaft hinter Vorhängen versteckt, sondern allenfalls von einem schwarzen Bühnenhintergrund teilverschluckt. Nicht mal auf dieses Aufgesogenwerden in Dunkelheit legen die Bremer Puppenspieler Wert. Illusionen soll sich der Held, Grenouille, machen, nicht sein Publikum. Und so sieht der Betrachter anstelle der Fiktion von der autonomen Gestalt immer einen sonderbaren siamesischen Zwilling aus flatterhaften, körperlosen Puppengewändern und Schauspielerstatur. Erst unter der Taille wächst es sich zusammen.
„Für mich hat das immer etwas Schattenhaftes“, meint der Berliner Puppenmacher Ralf Wagner, der die Figuren für das Theatrium entworfen hat. Die Schauspielergesichter schwitzen und schnaufen heimlich aber heftig hinter einer Art Imkergesichtsvorhang. In diesem Gesichtsnetz verfängt sich der feuchte Redestrom als spiegelnder Kreis. Mal dominiert das im Schatten zerfließende Schauspielergesicht, mal die kantigen Puppenzüge.
Mal scheint die Puppe eigenständig zu agieren, mal gibt sie sich als fremdgetrieben offen zu erkennen. Diese eigenwillige Doppelgängerkonstruktion läßt sich natürlich gut für dramaturgische Zwecke einsetzen.
Da diese Art des Puppenspiels der Fantasie des Zuschauers sowieso schon einiges abverlangt, verzichtet das Theatrium auch gleich auf sinnlich-strotzende Ausstattung. Ein paar Kisten stehen, geschickt plaziert, für das Reisen, für Duftlabors und heilige Bergeinsamkeit. Das alte Paris ensteht im Kopf des Zuschauers ausschließlich durch Worte. Schließlich existiert es auch für den Helden des Stücks, Grenouille, nicht als optisches Gebilde, sondern immateriell, als Gewebe von Gerüchen.
In Süskinds Parfüm exisitieren zwei grundverschiedene Geruchswelten, eine vergesellschaftete und eine elementare. Erstere stinkt, dafür ist die zweite lebensgefährlich. Für die großen Pariser Pafümerien ist Duft der Weg zu Geld, Erfolg und Lebensstil. Mit der sinnlosen Eloquenz von Weinfetischisten wird über die neue Geruchsnote „Amor und Psyche“ gekauderwelscht. „Sie besitzt eine Tiefe, aber wirkt trotzdem nicht überladen, hat Liebreiz aber ohne zu schwindeln.“
Für Grenouille dagegen ist Geruch eine Frage des Überlebens; in ganz vielfältiger Hinsicht. Erst ein guter Geruch garantiert die Liebe der Mitmenschen, aber auch ein intaktes Selbstbild. Ich dufte, also bin ich. Und so sucht der geruchsbesessene Grenouille nicht nach läppischen Erfolg, sondern nach seinem Ego, nach Freundschaft und nach Vollkommenheit, drei seltene, schwierige Dinge also, für die man gemeinhin morden muß.
Höchste Sensibilität erzwingt also rücksichsloseste Gewalt. Eine charakterliche Asymmetrie, die Ralf Wagner in seine Papierköpfe hineingefräst hat. Zinken und Augenbrauen sitzen schief, nicht zuletzt um die Unbeweglichkeit des Puppengesichts ein wenig zu kompensieren. Selbst einem wunderschönen Mädchen verweigert Wagner ideale Proportionen. „Es ist seltsam, aber die Gesichter von Modezeitungen wirken als Puppenköpfe ganz und gar nicht schön.“
An warmen Tagen ist es im Theatrium verdammt schwül. Auch an diesem schönen Theaterabend. Das führt zu Menschenduft. Vollkommen ist er nicht. Was immerhin den Vorteil hat, daß hier nicht gemordet wird. Nicht mal 'ne Flasche Bier wird an diesem Abend geklaut. B.Kern
Karikatur: Niko Wolff
14., 16., 20., 22., 23.Mai, 20 Uhr 32 68 13
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