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Warum wir alle Kunst sind

■ Die Ausstellung "Golden Soap" in Stuttgart gibt Antworten auf nie gestellte Fragen

Wir müssen Sie warnen, Leser!

Dieser Text wird stellenweise etwas philosophisch werden. Aber: Er kann Ihr Leben verändern! Beim Lesen wird Ihr Leben nämlich zur Kunst. Soap-Kunst. Ja, ehrlich! Sie werden automatisch Mitspieler in einer gigantischen Seifenoper.

Beginnen wir mit der Kunst in den Ausstellungsräumen der „Golden Soap 98“, die zur Zeit im Stuttgarter Desse-Atelier zu sehen ist. Auf dem Fußboden stehen Gummistiefel, in denen schäumendes Wasser rauf und runter gepumpt wird. Soap-Kunst. Das Bild an der Wand gegenüber ebenfalls. Eine Collage aus aufgeklebten Glitzi-Spülschwämmen, die das Wort „Dirt“ bilden. Aha. Die Besucher gucken argwöhnisch: Glitzi- Schwämme auf Pappe kleben kann doch jeder. Und schön ist das nicht.

Schön ist höchstens Leonore Capell, die als Andrea Süßkind die Quoten-Lesbe im „Marienhof“ gibt und am Wochenende Ehrengast auf der „Golden Soap“ war. „Kunst ist höchstens das, was ich da täglich im Marienhof spiele“, beteuert sie. „Privat bin ich immer noch ich!“

Das ist natürlich Blödsinn: Kunst hat viele Aspekte. „,Marienhof‘, ,Unter Uns‘ und Co. sind nämlich eine künstlerische Form, die nicht länger zwischen Museumswänden, sondern im gesellschaftlichen Leben stattfindet und dort auch ihre Impulse sucht.“ Das sagt „Golden Soap“-Organisator Mario Strzelski.

„Soaps sind unnützer Scheißdreck! Und jetzt mach die Kiste aus, und mäh endlich den Rasen, sonst wuchert das Gras die Fenster zu!“ Das sagt Markus Ziegler. Markus Ziegler ist mein Bruder und mehr so bodenständig.

Mario Strzelski dagegen ist Künstler und Mitglied der „Kunstfamilie Desse“. Desse steht für: Der Erfolg Stellt Sich Ein. Und eine „Familie“ sind sie, weil in den Soaps immer Familien mitspielen. So gesehen, sagt Strzelski, seien sie nun ein Kunstprodukt, wie die TV- Familien. Und damit seien die Künstler plötzlich selbst Exponate einer Ausstellung über „eine sich immer weiter fortsetzende Kunst, die Soap sein kann“.

Damit nicht genug! „Die Besucher dieser Ausstellung sind nämlich ebenfalls Kunst!“ ereifert sich Strzelski, „Denn sie erscheinen ja nur hier, weil sie durch eine künstlich erzeugte Soap-Ausstellung hergelockt wurden. Dadurch geht Ihre weitere Lebens-Storyline nun vielleicht andere Wege: Sie lernen hier z.B. Menschen kennen, die Sie ohne diese Ausstellung nie kennengelernt hätten...!“

Leser, sind Sie noch da? Verstehen Sie noch? Die Besucher und Soap-Fans jedenfalls gucken groß: „Du sollst Kunst sein? Pffff!“ – „Na und?! Du ja auch!“ – „Kapier' ich nicht...!“ Falls Sie, geneigter Leser, auch nicht kapieren: Macht nix! Hinter der Idee von „Goldene Soap 98“ steht nämlich noch etwas anderes: Am 24. Mai verleiht Desse die „Goldene Seife“ an die beste Daily-Soap! Abstimmen dürfen wir alle. Zur Wahl stehen die Soaps „Marienhof“, „Unter Uns“, „Verbotene Liebe“ und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Wer wenig Stimmen kriegt, werde etwas ändern müssen, sagen die Desses.

In den Ausstellungsräumen flimmert die neu entdeckte Kunst über vier Bildschirme. Einer der Künstler hat einige Folgen sogar neu vertont. Da reden Leonore Capell und ihre Kollegen noch seifiger als vorher. Ein anderer Raum wird ständig „dauerbeschallt“. Von der Decke. Mit wiederkehrenden Soap-Phrasen: „Was machst du denn hier? – klick – Was machst du denn hier? – Klick – Was machst du denn...“ Das ist auch Kunst? Faszinierend!

Und indem ich diesen Artikel schriebe, so droht mir Strzelski an, ginge sogar ich ein in den Soap- Kunst-Kreislauf. Denn: Könnte ich hier Dauerbeschallungs-Soap- Phrasen zitieren, wenn die nicht vorher in der künstlich geschaffenen Ausstellung über künstlich geschaffene Soaps...? Hilfe! Ich bin Kunst! SIE sind auch Kunst! WIR ALLE sind plötzlich Kunst und Mitglieder im Ensemble einer realen Seifenoper und können nix mehr dagegen machen! Frank M. Ziegler

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