■ Der Lagerwahlkampf, der vor der Tür steht, bringt nicht die Bundes-SPD in die Bredouille, sondern die Bündnisgrünen
: Die übersehene Gefahr

Sympathisanten der SPD, der PDS und allerlei aufrechte Linke mögen sich zu Recht über Reinhard Höppners Standhaftigkeit freuen. Denn nun scheint am fernen Horizont – bescheiden genug – die Möglichkeit französischer Verhältnisse auf. Des anhaltinischen Ministerpräsidenten Mannesmut vor Kandidatenthronen beschert freilich nicht nur Gerhard Schröder ein Problemchen, sondern könnte zugleich das Ende der Grünen einläuten.

Man gebe sich keiner Illusion hin. Daß Höppner die Interessen seiner Landespartei in einem von der PDS tolerierten Minderheitenkabinett wahrnehmen kann, ist nicht das Resultat ostpolitischer Fairneß der Bonner SPD. Dieser Schritt ist lediglich die Frucht der demoskopisch gewonnenen Erkenntnis, daß zum Wechsel bereite und SPD-Wähler wegen Magdeburg alleine nicht zu Helmut Kohl zurückgehen werden. Wer im Zeitalter des amerikanisierten Wahlkampfes, zu der ein Wahlkriegshauptquartier wie die „Kampa“ gehört, noch an eine demoskopisch nicht rückversicherte Politik glaubt, täuscht sich noch immer darüber, in welchem politischen System wir leben.

Der bevorstehende Lagerwahlkampf wird Wasser auf die Mühlen der beiden großen Volksparteien führen, die kleinen westdeutschen Parteien jedoch, die rechtsliberale FPD und die linksliberalen Grünen, an den Rand des Abgrunds treiben. Kein Manager aus Salzgitter, der Schröder für den Inbegriff wirtschaftlicher Vernunft hält, kein Mitglied der Gewerkschaft der Polizei, das Schröders ausländerfeindliche Einstellung zu schätzen weiß, wird wegen Pfarrer Hintzes einfältigem Antikommunismus CDU wählen. Allerdings: Das Drohen mit der roten Fahne könnte die Mutter des Managers aus ihrem Seniorenstift und den Vater des Polizisten aus seinem Altenheim noch einmal an die Wahlurne treiben, um das Abendland zu retten. Die wirkliche Gefahr des polarisierenden Lagerwahlkampfes besteht in der hohen Wahlbeteiligung, also darin, daß SPD und CDU – wie übrigens die PDS – ihre Wählermilieus annähernd restlos ausschöpfen. Daß hohe Wahlbeteiligungen kleinere Parteien systematisch benachteiligen, gehört zum Grundwissen parlamentarischer Demokratie.

Daher ist allen schwärmerischen Unterstützern der Erfurter Erklärung, die nun naiv von linken Mehrheiten 1998 träumen und dem „Kampf gegen Rechts“ entgegenfiebern, eine Reihe von Wahrheiten entgegenzuhalten.

Erstens ist eine PDS-tolerierte sozialreformerische Bundesregierung derzeit keine vorstellbare Perspektive. Und der Antikommunismus in Deutschland ist nicht nur unberechtigt. Zweitens wird keine Bundesregierung, gleich ob eine Große Koalition oder Rot- Grün, die Lage wesentlich zum Besseren wenden können. 1998 geht es einzig darum, ob die als „Modernisierung“ aufgeputzte Mobilmachung für den Weltmarkt mehr oder weniger soziale und ökologische Rücksichten nimmt.

Drittens: Wenn – aufgrund der hohen Wahlbeteiligung – FDP und Grüne nicht wieder in den Bundestag einziehen, droht eine Große Koalition, der als Opposition eine in Teilen vernünftig gewordene, aber ohnmächtige PDS sowie eine neofaschistische Rechte gegenübersitzen könnte. Das Ende der Bonner Republik würde durch Weimarer Verhältnisse in Berlin besiegelt.

Aus all dem folgert, daß die Auseinandersetzungen zwischen Grünen und PDS schärfer werden müssen. Bei vollem Respekt vor der staatstragenden und konstruktiven Rolle der PDS in den ostdeutschen Ländern, bei differenzierender Betrachtung dieser in sich vielfältigen Partei, bei entschiedener Ablehnung der skandalösen Gleichsetzung von DVU und PDS – es ist für die Linke strategisch nicht wünschbar, daß die PDS erneut in den Bundestag kommt. Damit kommt auf die Bündnisgrünen, den verbliebenen institutionellen Rest der westdeutschen 68er und Neuen Sozialen Bewegung eine erhebliche Verantwortung zu, und man mag sich besorgt fragen, ob die Partei dafür gerüstet ist.

Denn der Alltag des parlamentarischen Geschäfts in Bund und Ländern sowie die Fixierung auf die Experten der anderen Parteien fördert nicht nur einen übersteigerten (und deshalb in sein Gegenteil umschlagenden) Realitätssinn, sondern auch – siehe der Beschluß zum Benzinpreis – eine Erfahrungsferne, die die Partei zum Vollpassagier im „Raumschiff Bonn“ gemacht hat. Die in diesem Rahmen naturwüchsig wuchernde Ämterpatronage ist dabei noch das kleinste Ärgernis. Hinzu kommt, daß die immer wieder beschworenen fachlich exzellenten, durchgerechneten Konzepte den politischen Rahmen des von allen etablierten Parteien getragenen Modernisierungskonsenses nie überschreiten. Deshalb sind sie auch kaum dazu geeignet, Verzweiflung, Hoffnung oder Begeisterung im Wahlvolk aufzunehmen oder zu artikulieren. Auf die technokratisch gewendete Ökologie folgt die soziokratisch verengte Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Warum die bündnisgrüne Partei das Thema der „sozialen Gerechtigkeit“ den PDSPD-Parteien überläßt, ist unerklärlich.

Und schließlich droht den Grünen in personalpolitischer Hinsicht das Schicksal der Union Helmut Kohls. Jede Partei könnte sich glücklich schätzen, einen Politiker wie Joschka Fischer, der die Eigenschaften des nachdenklichen Theoretikers mit denen des brillanten Rhetors verbindet, an ihrer Spitze zu wissen. Daß freilich neben Fischer nichts und niemand in einer auch nur vergleichbaren Position existiert, daß die Grünen, immerhin der parlamentarische Arm des Feminismus, keine auch nur annähernd so beeindruckende Politikerin aufzuweisen hat, daß der jugendliche Nachwuchs eher durch Professionalität denn durch ein wenn auch bescheidenes Charisma auffällt, stimmt pessimistisch. Eine Partei, deren parlamentarisches Schicksal von einer einzigen Person abhängt, riskiert nicht nur ihre Zukunft, sondern auch ihre Gegenwart.

Die Bündnisgrünen werden in diesem Wahlkampf verdeutlichen müssen, daß sie nach wie vor die einzige politische Kraft sind, die die antiautoritären Impulse der 68er Bewegung, die ökologische, feministische und an den Menschenrechten orientierte Verantwortungsethik der Neuen Sozialen und der Bürgerrechtsbewegungen aufnehmen und – soweit im Parlamentarismus möglich – umsetzen kann. Die WählerInnen aber sollten die Kirche im Dorf, das heißt die ostdeutsche Regionalpartei dort lassen, wo sie hingehört. Micha Brumlik