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Eine Rebellin wollte Sitte nie sein

Petra Sitte, Fraktionschefin der PDS in Sachsen-Anhalt, freut sich, daß der SPD-Ministerpräsident dem Westen getrotzt hat. Arbeitswut und Pragmatismus sind die Markenzeichen der früheren FDJ-Sekretärin  ■ Aus Magdeburg Constanze v. Bullion

Es ist fast wie vor der Vertreibung aus dem Paradies. Sie hat den Apfel, und er darf nicht reinbeißen. Aber weil Petra Sitte so frech grinst und Reinhard Höppner nicht muffelig wirken mag, akzeptiert er lächelnd das Glas Mineralwasser, das sie ihm entgegenstreckt. Prompt bricht ein Blitzlichtgewitter über die beiden herein. Die Operation ist geglückt, das Foto im Kasten, ein winziges Siegerlächeln huscht über Petra Sittes Gesicht. Die Fraktionsvorsitzende der PDS im Magdeburger Landtag weiß eben sehr genau, wie man sich in Szene setzt. Schließlich sind die Fotografen, die Sachsen- Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) seit Tagen belagern, nur auf ein einziges Bild aus: das vom Magdeburger Sündenfall.

In Sachsen-Anhalt wird die SPD sich von der PDS tolerieren lassen, doch eine Liebesheirat ist es nicht, die den stillen Kirchenmann Höppner in die Arme der forschen Petra Sitte treibt. Dabei gilt die Frau, die die Einheitsbürste der PDS-Frauen auf dem Kopf und „die DDR noch sehr im Herzen“ trägt, als Pragmatikerin. In den vier Jahren des Magdeburger Modells hat ihre Partei nur weniges blockiert – und fast nichts erreicht. Gemault hat Petra Sitte natürlich um so lauter über ihren Ministerpäsidenten. Höppner sei ein „Mann ohne Profil“, erklärte sie vor vier Jahren dem Neuen Deutschland. Die Tolerierung der SPD, versicherte sie 1997 der Jungen Welt, sei „nur ein Ausnahmemodell“ ohne „Visionen“.

Inzwischen hat die geborene Dresdenerin offenbar Geschmack gefunden an der Rolle der Juniorpartnerin, die mitmischt, aber nirgends verantwortlich zeichnet. Das Zähnefletschen von Kohls Hintze oder die schlechte Laune eines Gerhard Schröder angesichts der Tolerierung in Magdeburg bereitet der 37jährigen diebische Freude. Nein, wer Petra Sitte verunsichern will, der sollte es eher mit einem Koalitionsangebot versuchen. Nur als Ultima ratio sei eine feste Zusammenarbeit mit der SPD in Betracht gekommen, sagt sie. Regierungsvereinbarungen hält sie generell für „erpresserisch“, lieber will sie „den Widerstand in der Bundesrepublik organisieren“.

Klappern gehört zum Handwerk, Petra Sitte weiß, wieviel verbale Kraftmeierei sie der greisen Parteibasis schuldig ist. Zwar gehört sie zur jung-dynamischen Garde, die das Gesicht der PDS in den Medien prägt, doch gelernt ist immerhin gelernt. Sie sei „methodisch-wissenschaftlich gut geschult“ für den Spagat zwischen Programm und Pragmatismus, sagt die promovierte Volkswirtin, die gern darauf verweist, daß sie auf dem Sprung zur Habilitation war, als die Wende sie aus der Martin-Luther-Universität in Halle fegte. Als Sekretärin der FDJ-Kreisleitung wirkte sie damals, die drei Jahre Parteidienst habe sie sich „abgeklemmt“, weil sie „unbedingt an der Uni bleiben“ wollte.

Partei-Karriere wider Willen? Petra Sitte ist klug genug, zu ihrer Vergangenheit zu stehen. In ihrem Elternhaus sei man „sehr bewußt in der SED“ gewesen, erzählt die Tochter einer Verkäuferin und eines Schlossers, die im Unterricht „nicht begnadet“ und zu Hause „gar keine Rebellin“ war. Als „sehr kompliziertes und rowdyhaftes Kind“ habe sie dafür ihren Mitschülern Ärger gemacht, zwei Narben am Haaransatz behielt sie als Andenken an die blutigen Keilereien auf dem Schulhof. Erst als jugendliche Leistungsschwimmerin konnte sie sich gründlich austoben, erzählt sie, das habe „unheimlich diszipliniert“.

Es ist eine gute Portion Ehrgeiz, die diese quirlige Person durch Fraktionssitzungen und Fernsehstudios treibt, die sie bis zu 160 Kilometer am Tag radeln oder bis nachts in einem Büro arbeiten läßt, das den Charme einer Tiefgarage besitzt. Für Äußerlichkeiten hat sie wenig übrig, in ihrer Wohnung in Halle stehen „keine Vitrinen mit Gläsern“, und ihren Freund – einer aus dem Westen – sieht sie bestenfalls am Wochenende. Das Leben der Petra Sitte heißt Arbeit, und so war es „eine Horrorvorstellung“, daß sie vor drei Jahren fast ihren Job aufgeben mußte. Man hatte sie im Kaufhaus beim Klauen einer Cremedose erwischt, doch weil sie den Parteioberen heulend Besserung versprach, durfte sie weitermachen.

„Total unbholfen und idiotisch“ findet sie ihren damaligen Auftritt, Petra Sitte zeigt eher ungern Emotionen. Es sei denn, es geht um die DDR. Noch acht Jahre nach der Wende sehe sie sich „nicht in der Lage, das alles rational zu betrachten“. Daß sie früher „vieles bewußt verdrängt“ habe, weil es ihr „nicht ins gesellschaftspolitische Bild paßte“, das hat sie längt eingestanden. Weiter aber will sie nicht gehen, für eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR sei sie „noch zu sehr mit dem Herzen dabei“.

Kein Wunder also, daß sie Gregor Gysis Stasi-Connection als „nicht erwiesen“ abhakt. Die Diskussionen um die Vergangenheit seien ohnehin „an die Grenzen des Erträglichen gegangen“, meint Petra Sitte, längst habe sie ihren Frieden mit den Leuten gemacht, die zu DDR-Zeiten auf der anderen Seite standen. Da sind die Gewerkschafter von der IG Metall, die sie zusammen mit Reinhard Höppner einladen, um ihnen eine gemeinsame Regierung ans Herz zu legen. Da ist Frau Höppner, die in Magdeburg eine große Pfarrei leitet und gewiß keine stramme Sozialistin ist. Sie habe Petra Sitte mit „ihrem tiefen inneren Engagement total beeindruckt“. Selbst der Ministerpräsident, den sie „immer blaß gefunden“ hat, ringt ihr neuerdings Bewunderung ab, weil er sich „gegen den Westen durchsetzt“.

Schwamm über die Furchen der Vergangenheit, jetzt muß der Osten zusammenhalten, heißt die Botschaft der PDS. Eines Tages auf der Regierungsbank zu sitzen, ist für Petra Sitte ohnehin keine verlockende Perspektive. „Um für unsere Sache demokratische Mehrheiten zu gewinnen, bedarf es einer neuen Generation“, meint sie. „Das müssen Leute sein, die nicht mehr von der DDR geprägt sind, sondern ungebrochen in die neue Gesellschaft hineinwachsen.“

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