: Dämonische Irgendwiekonstruktionen
■ Seltsam vermischte Geschlechterrollen und Gewaltphantasien auf dem 2. Mangafestival
Japaner sind seltsam. Ständig arbeiten sie, und nach der Arbeit gehen sie mit ihren Kollegen Karaoke singen. Ständig lesen sie auch Mangas, mehrere hundert Seiten dicke Comics, die in Hunderttausenderauflagen erscheinen, sich im Erwachsenenbereich gern sowohl gewalttätig als auch sexuell geben und gern verfilmt werden.
Ab morgen präsentiert das Kreuzberger „Eiszeit“-Kino nun das 2. Berliner Mangafilmfestival. Sehr fremdartige und autorenlose Streifen, die mit „Akira“ oder den geschmackvoll künstlerischen Filmen, die neulich beim Manga- Abend auf arte zu sehen waren, nur noch das durchgängige Kindchenschema gemein haben. Die entindividualisierende Dominanz der Schlüsselreize – runde Augen mit langen Wimpern in niedlichen pastellfarbenen Teeniegesichtern – hat etwas Melancholisches. Die Helden sind noch nicht zur Sprache gekommen. Seltsame Vorstellung, daß sich Japaner mit sprachlosen Helden identifizieren.
Diese niedlichen Teenagergesichter erleben die gewalttätigsten Abenteuer. In den tolkienmäßigen Kriegswirren um Lodos („Records of Lodos-War 1-3“) zum Beispiel inmitten von Drachen, Rittern, Zauberern, Elfen und Gobelins, die sich für den Kampf gegen die schwarze Insel Marmo wappnen. Hexe Karla und die Hohepriesterin von Narfa spielen auch eine Rolle. Helden mit komischen Namen müssen durch einen „Wald ohne Wiederkehr“ wandern, in dem alle heftigen Emotionen verboten sind, denn die Bäume dort sind sehr empfindsam und strafen unangemessene Gefühlsausbrüche. Religionswissenschaftlich Interessierte werden ihre Freude haben an dem bunten Patchwork künstlich aufgearbeiteter Allerweltsmythen, mit dem sehr viele Filme des Festivals arbeiten.
Manchmal erinnert das Ganze an Lovecraft, wie in „The Devil Man“: Ein allzu neugieriger Archäologe hat einen Tunnel entdeckt, der in den Mutterbauch der Erde führt. Dort entdeckt er eine uralte Maske. Wenn man sie aufsetzt, taucht man ein in eine Welt unfreundlicher, voreiszeitlicher Dämonen, die den Wissenschaftler so bedrängen, daß er sich das Leben nimmt. Zusammen mit Akira versucht der Sohn des Wissenschaftlers die Dämonen zu bekämpfen, die – wenn ich's richtig verstanden habe – am Südpol überwintert haben und infolge der zu verurteilenden Weltklimaerwärmung wieder aufgetaut sind. Irgendwie (viele der Mangas funktionieren über Irgendwiekonstruktionen) muß man sich halb in einen Dämon verwandeln, um die Teufelsbrut zu bekämpfen.
Irgendwann steht der mutig mutierte Akira in einer wilden Disco mit lauter Dämonen, was mit der Vorliebe der Japaner für LSD zu tun haben mag. Die meisten Dämonen sehen erst mal sehr reizend aus, sind aber offensichtlich Abkömmlinge verschlingender böser Göttinnen und fressen freche Erdlingsjungs mit bezahnten Mösen.
In manchen Filmen sind die Geschlechter auch seltsam unfestgelegt. Bazusu, der Bösewicht des archaischen Endzeit-Science-fiction- Pornos „Imma Yojo“ ist zum Beispiel eine riesige Menschmaschine, zusammengeflickt aus Metallteilen, Drähten, Schrauben, menschlichen Überresten und vielerlei Tentakeln, die aus seinem Unterleib rauskommen, wenn sich die stählerne Tür dessen öffnet, was frühere Generationen gerne Hosenstall nannten, um vor dem Geschlecht als Schwein zu warnen.
Nun sitzt der böse Gebieter einer namenlosen Stadt unbewegt in einem geheimen Saal einer geheimnisvollen Pagode auf einem Thron und hat gewisse Artikulationsschwierigkeiten. Das macht ihn einsam und versperrt ihm den Weg zum kommunikativen Handeln. Bazusu läßt sich schöne Jungfrauen zuführen, die er mit seinen vielen Schwänzen gleichzeitig überall zu penetrieren pflegt.
Ein ziemlich kranker Männerporno-Manga könnte man sagen. Das krank mag stimmen, doch mit den eindeutigen Geschlechterzuschreibungen handelsüblicher Pornographie hat „Imma Yojo“ nicht viel zu tun, denn Basuzu ist eher ein mythisches Zwitterwesen; eine entartete Version der Großen Göttin, die in unzugänglichen Höhlen der Vorzeit hauste und auf Menschenopfer wartete, erbracht, damit die patriarchalische Ordnung bestehen bleibt. Bazusus unzählige, schlangengleiche Schwänze widersprechen der binären Männerlogik. Eher denkt man an ein Medusenhaupt, das man nicht direkt anschauen darf, ohne gleich tot umzufallen. Bazusu ist so mächtig wie verwundbar. Sein Sperma, das fluoresziert, wie oft in härteren Mangas, ist eine superabhängig machende Droge, mit der er die graugesichtigen Bewohner seiner Stadt unterjocht. Wenn er nicht ständig ejakuliert, muß er explodieren. Er verliebt sich in Maya, ein verwaistes Mädchen, das als Tempelhure in seine Pagode verschleppt wurde und ihn nach allerlei irritierenden pornographischen Veranstaltungen dahinmordet.
Besonders logisch ist die Handlung der wenigsten Filme des Festivals. Statt dessen ist vieles klassisch spannend, wie die seltsamen Manga-Bullen-Filme („Mad Bull“ usw.); oder eben sehr strange, wie die feministischen Diskussionen, die plötzlich in dem sexuell recht expliziten Film „Junk Boy“ geführt werden. Detlef Kuhlbrodt
Animania II; 2. Berliner Mangafilmfest ab 21.5. im Eiszeit und Central. Genaue Termine: siehe Tagespresse
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