: Hamburger Verkehrsverbund in der Krise
Steigende Preise, weniger Fahrgäste, ein geknebeltes Management: Statt zu investieren, muß der HVV die Stadtkasse sanieren. Reformansätze bleiben in der Schublade ■ Von Florian Marten
Der Fahrplan wechselt, die Preise steigen um drei Prozent, der Fahrgastrückgang beim Hamburger Verkehrsverbund (HVV) hält an: Er sinkt jährlich um rund ein Prozent. Allein Finanzsenatorin Ingrid Nümann-Seidewinkel (SPD) darf sich freuen: Wie schon in den Vorjahren dürfte der HVV auch 1998 die Stadtkasse weiter entlasten. Denn Ein-sparungen und Tariferhöhungen kommen nicht den Fahrgästen, sondern fast ausschließlich dem Hamburger Haushalt zu gute. „Preiserhöhung beim HVV – Ohne uns!“ meint denn auch eine Gruppe namens „Sozialpolitische Opposition Hamburg“. Sie ruft für den kommenden Montag zu einer Protestfahrt auf.
Die Fahrpreiserhöhungen, vor allem aber Kostensenkungen beim städtischen Verkehrsgroßbetrieb Hamburger Hochbahn AG dürften den Kostendeckungsgrad weiter auf rekordverdächtigen 64 Prozent halten. Bereits 1997 war es gelungen, den öffentlichen Zuschuß um 80 auf 440 Millionen Mark zu senken. Parallel dazu verliert der HVV gegenüber dem Auto weiter an Boden: Mit einem Anteil von nur noch 22 Prozent am Werktagsverkehr weisen U-Bahnen und Busse in Hamburg einen miserabel niedrigen Wert auf. Vergleichbare Stadtregionen, egal ob Stockholm, Amsterdam, Wien, oder München stehen erheblich besser da.
Auch beim HVV selbst macht sich Frust breit. Zwei Jahre nach der radikalen Verkleinerung von einst 100 auf heute noch 35 MitarbeiterInnen, zeigt sich der älteste deutsche Verkehrsverbund in schlechter Verfassung. 1996 war die verjüngte und erneuerte HVV-Crew 1996 noch angetreten, um im Gefolge der Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) die Chancen von mehr Markt, Wettbewerb und Kundenorientierung zu nutzen. Ursprünglich sollte die Reform des HVV 1996 mit ihrem Übergang vom Unternehmensverbund (Gesellschafter waren die Verkehrsunternehmen) zum Verbund der Aufgabenträger (Gesellschafter der HVV-GmbH sind heute Bundesländer und Landkreise, wobei Hamburg dominiert) zu mehr Selbständigkeit führen.
Inzwischen ist das genaue Gegenteil eingetreten. Die rechte SPD um Verkehrssenator Eugen Wagner und Hochbahnchef Günter Elste hat den Hamburger ÖPNV im Griff wie nie zuvor. Der HVV wurde zur reinen Planungsabteilung degradiert: Kommt heute ein Kunde mit einem Fahrscheinproblem in die HVV-Zentrale an der Steinstraße, dann wird er dort frei nach Kafka weiterverwiesen: Die S-Bahn ist fürs Großkunden-Abo zuständig, die Pinneberger Verkehrsgesellschaft für die Schulberatung und die Hochbahn AG für Vertrieb, Marketing und das Tarifgeschäft.
Klammheimlich bemüht sich der HVV dennoch um Verbesserungen: Mit dem erfolgreich installierten Fahrgastbeirat haben die Kunden erstmals ein Wörtchen mitzureden. Der Aufbau einer Mobilitätszentrale wurde in Angriff genommen. Die großen Projekte schlummern allerdings noch in der Schublade: Offen ist etwa die Frage, wann und wie der HVV Busverkehrsleistungen europaweit ausschreiben wird. Bereits zum Sommer 1999 könnten Teile des Busnetzes an Hochbahn-Konkurrenten vergeben werden.
Zu fragen bleibt auch, wann die Stadtbahn kommt. Wie sieht außerdem das künftige Busnetz aus, das gegenwärtig unter Federführung der Hochbahn neu geplant wird? Und wann wird das HVV-Gebiet endlich ausgeweitet? Bargteheide beispielsweise würde lieber gestern als heute dem Verbund beitreten.
Die Antworten weiß, wenn überhaupt, Hochbahn-Chef Elste. Seine Planer basteln seit geraumer Zeit an einer grundlegenden Überarbeitung des Busnetzes. Erstes Ergebnis ist ein vollmundig „Premium-Netz“ getauftes Kernnetz. Nach Hochbahn-Auffassung soll es, da angeblich kostendeckend, auf Dauer bei der Hochbahn bleiben und vor Wettbewerb geschützt werden. Nach EU-Recht müssen nämlich „eigenwirtschaftliche Leistungen“ von Verkehrsunternehmen anders als die defizitären „gemeinwirtschaftlichen Aufgaben“ nicht öffentlich ausgeschrieben werden. Ob das Premium-Netz jedoch wirklich aus dem gemeinwirtschaftlichen Aufgabenbereich herausgerechnet werden kann, ist mehr als zweifelhaft. Stattdessen hegt Elste neue Sparpläne: Er will in der diesjährigen Tarifrunde 23 Millionen Mark bei den Löhnen der Busfahrer sparen.
Die Methode hat Prinzip: Statt strategischer ÖPNV-Offensiven, wie sie derzeit das CSU-regierte Bayern, die CDU in Sachsen, das rot-gelbe Rheinland-Pfalz, das schwarz-rote Bremen und selbst Autofreund Gerhard Schröder (SPD) in Niedersachsen betreiben, dominiert in Hamburg eine lähmende Mixtur aus Pfründensicherung und Sparwut. Dafür wird selbst auf die Erledigung der schlichtesten verkehrspolitischen Hausaufgaben verzichtet. Hamburg hat als einziges Bundesland kein Nahverkehrsgesetz. Bis heute gibt es in Hamburg, anders als im Rest der Republik, keinen Nahverkehrsplan.
„Preiserhöhung beim HVV – Ohne uns!“ Wer sich am Protest gegen die Fahrpreiserhöhungen beteiligen möchte, komme um 16.30 Uhr zum HVV-Kundenbüro in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs.
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