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■ Feldforschung: Zur Psychologie des menschlichen RevierverhaltensHoheitsrechte im Park

Das Revierverhalten des Försters ist weitgehend erforscht, wie auch das der Bewohner des Potts (Dortmund, Schalke). In Sachen Revierverhalten sonstiger Gesellen tappt die Revierforschung im dunkeln, es klaffen mächtige Forschungslücken. Eifrigen Doktoranden der Gesellschaftswissenschaften böte hier sich die Chance, ein neues, weites Feld zu beackern und zu begackern. Die folgende, wahre Geschichte ist in diesem Sinn als Initialzündung einer fruchtbaren Revierverhaltensforschung jenseits ausgetretener Pfade der Forste und Pötte zu verstehen.

Neulich suchten eine Freundin, drei zehnjährige Blagen und ich, ausgerüstet mit einer Videokamera, den Hamburger Sternschanzenpark auf. Der Sternschanzenpark ist berühmt für seine Drogenszene, für herumliegende blutverschmierte Spritzen und ihre herumliegenden, blutverschmierten Benutzer. Bevor diese die Spritzen benutzen, stehen sie erst mal vor dem Sternschanzenkiosk herum und schnacken, trinken Bier aus der Dose und checken Connections für ihre Spritzenfüllungen aus. Dabei werfen sie leere Bierdosen zu den blutverschmierten Spritzen auf den Boden, daß es den Passanten graust, ein Grausen, welches die Teams vom Spiegel TV dann in die Wohnzimmer transportieren.

Wir wollen mit unserer Kamera nicht das Grausen transportieren, sondern das Ambiente, das Spiegel TV und andere Zwischenhändler des Grausens und Grauens berühmt gemacht haben, für ein paar lustige Aufnahmen mit den dafür angeheuerten Zwergen nutzen, was uns sechs Colas und drei Pfund Pommes kosten sollte. Kaum ist der Dreh im Gange, löst sich aus dem Pulk vor dem Kiosk eine szeneparadigmatische Figur – Cowboystiefel mit schief abgelatschten oder -gehobelten Absätzen, Lederhose und -hut, speckig, Bierdose in der Linken, Fluppe cool im Mundwinkel, Nackenspoilermatte, Holstenfahne, rote Augenränder – steuert eiernd, doch gezielt auf uns zu, baut und bläst sich einen Meter vor mir auf und quakt drohend: „Hömma Aldää, hiäär bei uns wird nich gefilmt, klaro!“ Dabei reckt er den rechten Arm nach vorne und streckt mir drohend die erhobene Handfläche entgegen, die interkulturelle Geste aller Ordnungshüter der Welt für „Haltschlußbastastop“.

Daß er auch im Stand ein wenig schwankt auf seinen schiefen Sohlen, daß seine Handflächen befallen sind vom Gilb, das nimmt seiner Geste nur wenig vom Gehabe des Revierblockwarts. Der Restpulk hat derweil Smalltalk und Geschaftlhuberei unterbrochen und peilt nun streng die Lage.

Mir fällt spontan keine Antwort ein, des Reviersheriffs Blockwartmanier hat mich verblüfft. Die Chuzpe, mit der dieser abgewrackte Freak, den alle Welt unter Federführung von Innensenator, Bild und natürlich Spiegel TV samt seiner Gesellen aus diesem Park ins Pfefferland wünscht, die Hoheitsrechte über diesen Park für sich reklamiert, verschlägt mir für einen Moment die Sprache. Soll ich ihn fragen, was ihn eigentlich von den Bullen unterscheidet, die ihn von anderen Plätzen vertrieben haben? Ihn in eine Diskussion über Ethik und Ästhetik des Vertreibens und Vertriebenwerdens verwickeln, ohne zu verhehlen, daß seine Frechheit mir imponiert?

Noch während ich hektisch versuche, meine Gedanken zu sortieren, höre ich meine Stimme, ungewohnt laut und schroff: „Halt die Klappe, Alter.“ Inzwischen hat sich die einzige Frau des Pulks, die im Outfit der späten, versoffenen Janis Joplin ähnelt und die so alt aussieht, wie Janis Joplin heute wäre, aus diesem gelöst, ist zu dem Revierförster getreten und zieht diesen jetzt am linken Arm zurück. Nun wendet sie sich an uns, gönnerhaft, mit brüchiger und doch sanfter Stimme: „Hört nicht auf ihn, ihr dürft hier filmen.“ Erleichtert über die Drehgenehmigung fahren wir fort, ehe wir vom Sternschanzenpark fortfahren. Im Rückspiegel sehe ich noch, wie zwei Polizisten auf den Pulk am Kiosk zugehen, mit ausgestreckten Armen und erhobenen Handflächen. Joachim Frisch

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