Kommentar: Rückkehr unmöglich?
■ Vor fünf Jahren wurde das Grundrecht auf Asyl abgeschafft
Jahrestage sind lästige Rituale. Viele reden, und keiner hört hin, weil alles gesagt ist – vor zwölf Monaten und auch vor zwei, drei, vier Jahren. Warum soll es dem fünften Jahrestag der Abschaffung des Asylgrundrechts da anders gehen? Kaum ein Argument, kaum eine Warnung, die nicht schon vor fünf Jahren vorgebracht und bestätigt worden wäre.
Doch dieses Jahr bekommt das Erinnerungsritual eine besondere Note: Es sind Wahlen, zum ersten Mal seit der Grundgesetzänderung scheint ein Machtwechsel greifbar, das Rad der Geschichte ließe sich theoretisch zurück-, zumindest aber in eine andere Richtung drehen. Doch schon jetzt ist klar: Keiner wird es ernsthaft versuchen. Asylbewerber werden zwar zu Wahlkampfzwecken benutzt, aber Flüchtlingspolitik wird nach den Wahlen kein Thema sein, kein Reformprojekt. Selbst in einer rot-grünen Koalition würde sie unter „ferner liefen“ rangieren.
Hätten gestern nicht Pro Asyl, Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen asylrechtliche Mindestanforderungen an eine wie auch immer gefärbte künftige Regierung gestellt, kaum jemandem wäre es aufgefallen. Denn fünf Jahre nach der Aushöhlung des Asylrechts hat sich in der Parteienlandschaft auch die kleine Koalition der Kritiker mit dem Status quo arrangiert. Nicht unbedingt aus Feigheit oder Resignation, sondern aus Mangel an Alternativen. Vor fünf Jahren war die Asylrechtsänderung das seit Jahren heftigst umstrittene Thema.
Heute – die Gesetzesänderung selbst hat dazu beigetragen – hat sich das gesellschaftliche Klima dermaßen nach rechts verschoben, daß kaum jemand ernsthaft den alten Zustand von vor 1993 einfordern würde, eingeklagt wird nur noch Schadensbegrenzung. Eine Rückkehr zu einem Asylrecht zu fordern, das in Spitzenzeiten jährlich einer halben Million Flüchtlingen legale Aufnahme garantierte, das wäre nicht nur illusionär. Für die Grünen wäre sie nach dem Fünf-Mark-Debakel wohl der GAU. Offene Grenzen, 500.000 Einwanderer jedes Jahr auf Staatskosten, wer würde das propagieren können, ohne nicht ernstzunehmende Sorge haben zu müssen vor weiterer Radikalisierung? Insofern hat, fast schon makaber, der umstrittene „Asylkompromiß“ nicht nur die Statistiken des Bundesinnenministers, sondern auch seine linken Kritiker von einem Konfliktfeld entlastet. Vera Gaserow
Bericht Seite 6
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