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Cooler Kabelkompost

■ „Wer in Werken denkt, denkt falsch“: Die No Room Gallery mit dem Internetprojekt „Cyberbohne“ und 40 Kubikmetern Abfall in Stockholm

Immer neue Baustellen kleiner Schrebergartenhäuschen, unerklärliche Komposthaufen aus Kabeln und überall im Kulturhuset verteiltes Altmaterial: Die schwedischen Ausstellungsmacher der Biennale ArtGenda konnten ihre Verzweiflung nur noch mühsam tarnen. Denn war das Projekt Cyberbohne der Hamburger Künstler Jan Holtmann und Florian Muser auch als virtuelles Projekt im Internet angekündigt, vor Ort in Stockholm wucherte es diesen Monat zu einer Sammlung von vierzig Kubikmetern Abfall. Angeregt durch Kommentare auf ihrer Internetseite bauten die Betreiber der No Room Gallery täglich neue Objekte und verbreiteten wie ein Virus die Geschäftigkeit ständiger Unfertigkeit in der Ausstellung.

Für Organisatoren und Mitkünstler wurde der Seufzer „Was steht denn da schon wieder rum!“ zum Standardsatz – ein Gedanke, der Holtmann und Muser sonst in anderen aktuellen Kunstschauen beschleicht. „Man geht in Ausstellungen, und nix gefällt einem“, sagt Florian Muser und betont, daß es ihnen deshalb darum geht, mit künstlerischen Aktionen die aktuelle Kunstdiskussion zu beeinflussen. In einem Jahr haben sie ganz professionell sieben Ausstellungen zum Thema gemacht – auch wenn diese teils nur auf dem Anrufbeantworter stattfanden oder nur von wenigen bemerkt wurden.

Zeitgenössische Kunst behauptet unverdrossen, die Wahrnehmung zu schulen, auch wenn sie sich im Museumsraum im Leerlauf dreht. „Wer in Werken denkt, denkt falsch“, behauptet dagegen die No Room Gallery und trägt die Kunsterfahrung in den Alltag. Dabei nimmt sie in Kauf, daß ihre Kunst mitunter reichliche Frustrationen verbreitet. So lockten sie unschuldige Radfahrer mit präparierten Fahrradschläuchen: Die nagelneuen und originalverpackten Schläuche waren unsichtbar mit kleinen Löchern versehen, so daß bei der notwendigen Reparatur ein besonderes Muster entstand.

Die Konzepte von Holtmann und Muser betreiben eine heute in der Praxis kaum mehr für möglich gehaltene Ausweitung des Kunstbegriffs. Daß sie dabei einen Hauch von Bosheit haben, paßt zur These der beiden Künstler: „Das trojanische Pferd war die erste Ausstellung der Galerie ohne Raum!“

Im Projekt TrainTracks wurde eine Schallplatte im Zug zwischen Hamburg und Lüneburg abgelegt: Wenn der Finder sie zu Hause abspielt, eröffnet er eine Ausstellung von Zeiterfahrung, denn er hört nichts als das Geräusch eines Zuges, aufgenommen im Zug zwischen Hamburg und Lüneburg. Die Raumerfahrung verwirrten die Künstler mit ihrer Arbeit in KX auf Kampnagel, indem sie zwei nahezu identisch bespielte Ausstellungen aufgebaut hatten: der Schritt vom multiplen Kunstobjekt zur multiplen Ausstellung, von der Wanderausstellung zum Ausstellungsklon.

Viele sahen im ständig raumgreifenderen Stockholmer Kunstvirus der No Room Gallery eine der besten Arbeiten der ArtGenda. Doch die beiden Künstler ruhen sich nicht aus: Im Herbst wollen sie in Hamburg und Berlin Künstlerhäuser eröffnen. Die dürften auch etwas anders sein, als normalerweise zu erwarten. Hajo Schiff

Internetadresse: www.cyberbohne.de

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