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Lebensnaher Abdruck

■ Raamin-Presse: Die Autorin und Buchkünstlerin Roswitha Quadflieg wird für ihr kleines typographisches Gesamtkunstwerk ausgezeichnet

20 berühmte Dichter hatte Roswitha Quadflieg seit der Gründung ihrer Verlagswerkstatt „Raamin-Presse“ im Jahr 1973 unter den Walzen. Von jedem Autor wählte die Buchkünstlerin einen Text und gab ihm durch Druck und Druckgrafik eine ganz eigene Erscheinungsweise. So kommt in den kunstvoll gestalteten Bänden mit Texten von Beckett (1977), Hölderlin (1978) oder Kafka (1990) zum Ausdruck, was sich in dem Buch, das nur als Träger eines gespenstergleich anwesenden Inhalts begriffen wird, verbirgt.

Es geht Roswitha Quadflieg in ihrer Wohn-Werkstatt in Schenefeld in einem ganz lebensnahen Sinne um Abdrücke, die viele Proben, oft mehr, als das Alphabet Buchstaben bietet, durchlaufen müssen. Um Spuren, deren handschriftliche Prägung durch die fast körperliche Qualität der Typographie wieder sichtbar wird.

„Der Tod ist'n eigener Mann. Er streift den Dingen dieser Welt ihre Regenbogenhaut ab und schließt das Auge zu Tränen und das Herz zur Nüchternheit auf“, schrieb Matthias Claudius, der, ebenfalls am Stadtrand von Hamburg lebend, ein historisches Echo gibt zu Roswitha Quadflieg. Sie hat dieses „Abstreifen“ auf den Begriff gebracht in ihrem autobiographischen Roman Der Tod meines Bruders, der 1985 als ihr Erstling erschien. In einem bewegenden Bericht ergreift sie das Traumatische des Sterbens des anderen. Fünf Romane sind inzwischen veröffentlicht, einer verfilmt, zur Zeit arbeitet sie am sechsten. Der Druck, dem ihre kunstvoll gesetzten Seiten unterworfen werden, um ein Bild zu zeigen, der Druck, der sie zum Schreiben führt: Die Verbindung ist nicht weit.

Dem körperlichen Druck der vielen Arbeit hielt Roswitha Quadflieg nicht stand. Hatte die 1949 geborene Schweizerin Illustration, Satz und Druck bis 1994 allein verwirklicht, muß sie nach einem schweren Rückenleiden die Arbeit teilen. Zum Buchbinder Christian Zwang, der ihre Arbeit von Anfang an mit wertvollen Einbänden umfing, traten die Offizin Haag-Drugulin in Leipzig und der Hamburger Kupferdrucker Till Verclas. Ein Glücksfall: „Die hohe Qualität, die ich für meine Drucke fordere, blieb erhalten, ja, wurde durch das fruchtbare Gespräch noch erweitert.“ Mit Verclas hat sie auch die aktuelle Veröffentlichung verwirklicht: Die zwanzig Dichter der Raamin-Presse. Galerie, Revue, Erinnerung, Bilanz. In einem Bilderbogen läßt Quadflieg noch einmal „ihre Dichter“ auftreten, erstmals begleitet von einem Text von ihr selbst .

Im 25. Jahr, scheint es, tritt die Leserin hinter ihren Typen hervor. Ihr Weg und die stete Suche in einer Welt, auf die wir, wie Claudius wußte, „nicht umsonst gesetzt“ sind, findet Anerkennung: Roswitha Quadflieg wird heute die mit 20.000 Mark dotierte Verlagsprämie der Stadt Hamburg verliehen.

Jens E. Sennewald

Ein Portrait der ebenfalls prämierten Edition 406 lesen Sie kommenden Donnerstag im Querschnitt

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