Die Türkei verprellt die letzten Freunde

■ Weil Frankreich per Gesetz offiziell den osmanischen Völkermord an den Armeniern anerkannt hat, hat die Regierung in Ankara jetzt Handelssanktionen gegen Frankreich verhängt. Der Völkermord wurde i

Ankara/Berlin (taz/AFP) – Die türkische Regierung führt ihr Land derzeit zielgerichtet ins internationale Abseits. Erstmals verhängte sie gestern gegen ein Mitglied der EU, Frankreich, Handelssanktionen. Von den Sanktionen unmittelbar betroffen sind zwei französiche Konzerne, die in der westtürkischen Metropole Izmir eine Metro bauen. Bei der fraglichen Etappe des Baus geht es um ein Geschäftsvolumen in Höhe von 490 Millionen Mark. Der Grund für diesen massiven Eingriff in die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder ist ein rein politischer: Die französische Nationalversammlung hat am Freitag vor einer Woche einstimmig einem Gesetzentwurf zugestimmt, in dem der osmanische Völkermord an der armenischen Minderheit Anfang des Jahrhunderts offiziell anerkannt und verurteilt wird. Zumindest in der veröffentlichten Meinung der Türkei und im türkischen politischen Establishment wurde das als herber Affront aufgefaßt. Der türkische Staat, als Nachfolger des Osmanischen Reiches, weigert sich seit der Gründung der türkischen Republik 1924 anzuerkennen, daß in der Zeit von 1915 bis 1920 mehr als eine Million Armenier ermordet wurden und damit der erste Völkermord dieses Jahrhunderts stattfand. Nach offizieller türkischer Lesart wurde während des Ersten Weltkriegs, in dem das Osmanische Reich mit Deutschland und Östereich alliiert war, lediglich ein Teil der armenischen Bevölkerung, die entlang der russischen Grenze lebten, deportiert, weil das türkische Militär eine Kollaboration mit den russischen Truppen befürchtete.

Tatsächlich gab es auch Pogrome gegen die armenische Bevölkerung in Istanbul und anderen Städten im Westen des Reiches. Die Deportationen der Armenier in die Wüste des heutigen Irak wurden zu regelrechten Todesmärschen. Nach armenischen Quellen kamen 1,5 Millionen Menschen dabei um. Im gesamten Nordosten der Türkei, dem früheren Westarmenien, leben heute keine Armenier mehr und nur noch wenige architektonische Zeugnisse wie die Kathedrale von Akdamar am Van See erinnern daran, daß hier über viele Jahrhunderte Armenier gelebt haben. Selbst die wenigen Überbleibsel werden offiziell unterschlagen. Ein deutscher Reiseleiter wurde vor Jahren verhaftet und ausgewiesen, weil er auf das armenische Kulturerbe hingewiesen hatte.

Obwohl in Kriegsgerichtsprozessen, die auf Druck der Siegermächte nach Kriegsende von der osmanischen Justiz angestrengt wurden, das Ausmaß der Verbrechen dokumentiert wurde, gehört es zum Gründungsmythos des türkischen Staates, den Völkermord an den Armeniern zu leugnen. Das hatte vor Jahren bereits zu einem heftigen Konflikt mit dem US-Senat geführt, der auf Initiative der armenischen Diaspora in den USA den Völkermord offiziell anerkannt hatte. Schon darauf hatte die türkische Presse geradezu hysterisch reagiert. Auch das Verhältnis zum Nachbarland Armenien ist durch die türkische Weigerung, sich mit dem Genozid auseinanderzusetzen, schwer belastet. Die Grenzen zwischen beiden Ländern sind geschlossen, jeder Waren- und Personenverkehr unmöglich.

Der jetzt in Frankreich beschlossene Gesetzentwurf geht ebenfalls auf den Druck der armenischen Gemeinde zurück, von denen in Europa die meisten in Frankreich leben. Für die türkische Regierung ist dieser Konflikt ein besonders harter Schlag, weil in der Auseinandersetzung um eine EU-Mitgliedschaft vor allem Frankreich den türkischen Beitrittswunsch unterstützt hatte. Trotzdem ist Ankara wild entschlossen, seine letzten Freunde zu verprellen.

Obwohl das Gesetz erst noch vom französischen Senat verabschiedet werden muß, hat ein Sprecher der Stadt Izmir bereits jetzt bekanntgegeben, daß von der kommenden Sommermesse in Izmir ebenfalls alle französischen Firmen ausgeschlossen werden sollen. Jürgen Gottschlich