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Der Poker mit der albanischen Frage

Angesichts des Kosovo-Konflikts schlägt der albanische Oppositionsführer Berisha scharfe nationalistische Töne an. Regierungschef Nano hingegen will die Plünderung von Waffendepots im Norden stoppen  ■ Aus Tirana Thomas Schmid

In Nordalbanien, der ärmsten Ecke des Armenhauses Europas, sind über 12.000 Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo bei Familien untergekommen. Dieser praktischen Solidarität in den Bergen steht eine schäbige Instrumentalisierung des Konflikts in der Hauptstadt Tirana gegenüber. Kaum ein Tag vergeht, ohne daß die Opposition versucht, aus der Tragödie politisches Kapital zu schlagen. Als Präsident hatte Sali Berisha zwar Wahlen gefälscht, die Pressefreiheit eingeschränkt und seine Gegner mit Hilfe von Schlägerbanden eingeschüchtert, aber außenpolitisch war er besonnen. Auch in kritischen Situationen – etwa im Konflikt mit Griechenland – hat er die großalbanische Karte nicht gespielt. Der Westen war dankbar.

Als Oppositionschef schlägt derselbe Berisha nun ganz andere Töne an. „Die UCK (Befreiungsarmee des Kosovo) repräsentiert die Männer Kosovos, die sich entschieden haben, dem Tod ins Auge zu schauen und im Namen ihrer eigenen wie auch unserer Kinder zu kämpfen“, sagte der Mann jüngst auf einer Kundgebung, „es ist höchste Zeit, daß die albanische Nation handelt, damit unsere nationale Frage einer gerechten Lösung zugeführt wird.“

Nicht vom albanischen Staat, sondern von der albanischen Nation, sprach er, und die ist zum einen Teil in Albanien, zum andern Teil im Kosovo, in Makedonien und in Montenegro beheimatet. Seinen Nachfolger Fatos Nano, der nach dem Aufstand im vergangenen Jahr die Regierungsgeschäfte übernahm, nennt Berisha denn auch einen „Feind der albanischen Nation“ und stellte ihn auf eine Stufe mit dem Serben Slobodan Milošević.

Berishas Parteigenosse Azem Hajdari, der einst die Studentenrevolte anführte, die dann das kommunistische Regime zu Fall brachte, und der heute Präsident der Verteidigungskommission des Parlaments ist, sagte sogar, Nano sei ein dreimal größerer Verräter der nationalen Interessen als es Esat Pascha Toptani gewesen sei. Und das will was heißen. Der hatte nämlich 1913 die nordalbanischen Stadt Shkodra mitverteidigt, die von den Montenegrinern belagert wurde, dann aber den Stadtkommandanten erschießen lassen, um dessen Position einzunehmen und die Stadt den Belagerern zu übergeben. Als vorletzte Woche in Bajram Curri, in den nordalbanischen Bergen, wo sich Mafia und Bluträcher die Hand geben, auf Hajdari geschossen wurde, klagte er sogleich die Regierung an, sie habe ihn eliminieren wollen.

Albania, das Hausblatt der Demokratischen Partei Berishas, beklagt, daß die albanische Regierung für die kriegerische Option nicht vorbereitet sei. Kurzum: „Die albanische Regierung hat bei der Verteidigung der Albaner im Kosovo versagt.“ Sie sei zum „Komplizen der Serben bei der Exekutierung von Albanern, bei der massiven ethnischen Liquiderung des albanischen Volks“ geworden. So spricht die größte Oppositionspartei des Landes.

Ministerpräsident Fatos Nano, der dem letzten stalinistischen Präsidenten des Landes, Ramiz Alia, als Regierungschef gedient hat und unter Berisha dann zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde, gibt sich dagegen geradezu moderat: „Ich appelliere an Berisha, nicht mit dem Schicksal unserer Nation und mit Wunden unserer Brüder im Kosovo zu spielen.“ Während er früher die Anwendung von Gewalt bei der Lösung des Kosovo- Konflikts strikt abgelehnt hatte, äußert er inzwischen öffentlich Verständnis für den bewaffneten Widerstand der UCK, denn die Kosovo-Albaner würden ihre Häuser verteidigen.

Während Berisha als Oppositionschef – von den Zwängen der Realpolitik entbunden – die Stimmung anheizt, will Regierungschef Nano den Erwartungen des Westens wie denen seines Volkes gerecht werden. Und das Volk Albaniens, wenn man verallgemeinern darf, sympathisiert mit der UCK. Zwar sind die Kosovo-Albaner nicht besonders beliebt. Viele haben hier mit ihrem im Ausland verdienten Geld nach dem Zusammenbruch des Kommunismus als erste wirtschaftliche Positionen erobert, aber der verzweifelte Kampf gegen Milošević' Polizei und Armee nötigt doch allgemein Respekt ab. Auf einer Kundgebung auf dem Skanderbeg-Platz im Zentrum Tiranas schrien denn auch Hunderte Albaner nach Waffen, um den bedrängten Brüdern im Kosovo zuhilfe zu eilen.

Die albanische Regierung hat offensichtlich kein Interesse, die Grenze zum Kosovo zu überwachen. Sie müßte dann ja die Versorgung der UCK mit den Waffen, die beim Aufstand im vergangenen Jahr in Albanien geplündert wurden, unterbinden. Ein höchst unpopuläres Unterfangen. Andererseits aber befürchtet sie, daß das lukrative Geschäft mit Kalaschnikows, Handfeuerwaffen und Granaten zu neuen Plünderungen verführt. So hat sie Spezialeinheiten abgestellt, um die Waffendepots der Armee im Norden des Landes zu bewachen.

Jüngst wurden zwei Polizisten verhaftet, denen der Diebstahl von 280 Panzerfäusten angelastet wird. Nahe der Grenze zum Kosovo wurden bei einer Kontrolle eines Lastwagens 200 Kalaschnikows entdeckt. Und wenige Kilometer von Tirana entfernt kamen der Armee 120 Mörser abhanden. All dies innerhalb von nur wenigen Tagen. Nun hat die Regierung verlauten lassen, auf Waffendiebe werde fortan sofort geschossen.

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