: Netanjahu löst die Rückfahrtickets
Israels Ministerpräsident stimmt einem Teilrückzug aus den besetzten palästinensischen Gebieten zu. Noch ist unklar, wie er die Entscheidung den Kritikern in seinem rechtsgerichteten Kabinett verkaufen will ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Nach wochenlangem Taktieren hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem US-Vorschlag eines 13prozentigen Teilrückzuges aus den besetzten palästinensischen Gebieten zugestimmt. Dies berichtete das israelische Fernsehen am Sonntag abend. Der Vertrag über den weiteren Rückzug, der von der Erfüllung verschiedener israelischer Forderungen an die palästinensische Seite abhängig gemacht wird, soll Mitte Juli in Washington folgen. Die US-Regierung hat eine derartige Einigung gestern allerdings dementiert. Die Verhandlungen würden noch weiter andauern, hieß es in Washington.
Bislang hatte die israelische Regierung einen 13prozentigen Rückzug aus Sicherheitsgründen stets abgelehnt und zwischen 9 und 11 Prozent angeboten. Während die Palästinenser ursprünglich einen 30prozentigen Rückzug aus dem Westjordanland verlangt hatten, hatte Palästinenserpräsident Arafat dem US-Vorschlag Anfang des Monats zugestimmt, um den Friedensprozeß überhaupt zu retten. Wegen des Plans der israelischen Seite, in Har Homa oder Jebel Abu Ghneim auf enteignetem arabischem Grund Siedlungen zu bauen, war der Friedensprozeß im März 1997 zum Stillstand gekommen. Obwohl Netanjahu seinem Kabinett bislang jede Information über den Umfang des geplanten Rückzugs vorenthalten hatte, hielten sich in Jerusalem Gerüchte, der Ministerpräsident werde dem umstrittenen US-Vorschlag seine Zustimmung erteilen.
Wie Netanjahu diese Entscheidung in seinem rechtsgerichteten Kabinett durchsetzen will, ist unklar. Infrastrukturminister Ariel Sharon und zahlreiche Dissidenten in der Likud-Fraktion wollten sich einer solchen Entscheidung entgegenstellen. Auch die Groß-Israel- Front hat gedroht, die Regierung zu Fall zu bringen, sollte auch nur ein weiterer Quadratzentimeter Land an die Palästinenser abgegeben werden. Landwirtschaftsminister Michael Eitan, Stabschef während des Libanon-Krieges, forderte zu Wochenbeginn gar Neuwahlen, um den Konflikt zu lösen. Seine Tsomet-Partei verfügt über fünf Sitze in der Knesset und könnte mit Hilfe der Opposition Neuwahlen durchsetzen. Ehud Barak, Chef der größten Oppositionskraft, der Arbeitspartei, sagte am Wochenende nach einem Treffen mit Netanjahu, daß die entscheidende Phase für Israel unmittelbar bevorstehe. „Dies ist die entscheidendste Situation seit den Tagen von David Ben Gurion.“ Unklar blieb, ob die Arbeitspartei in der Knesset dem 13prozentigen Rückzug zustimmen wird oder nicht.
Die israelische Presse spekulierte gestern darüber, ob Netanjahu die Entscheidung über den Rückzug in Kabinett und Knesset auf Mitte Juli verschieben wird. Denn wenn Netanjahu die offizielle Entscheidung erst am Ende der Sommerpause in der Knesset trifft, könnte er einem möglichen Mißtrauensvotum entgehen. Doch äußerten dem Kabinett nahestehende Kreise, daß Netanjahu entschlossen sei, seine Entscheidung vorher zu treffen und auch durchzusetzen.
Eine offizielle Reaktion auf palästinensischer Seite gab es bisher nicht. Bevor nicht die israelische Zustimmung zu dem US-Vorschlag oder aber eine andere definitive Prozentzahl genannt werde, wollte sich kein palästinensischer Offizieller äußern.
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