: "Krasse Geringschätzung"
■ Fast ein halbes Jahr war bei der Polizei kein Homobeauftragter greifbar. Bündnisgrüner Abgeordneter will die Stelle um eine lesbische Beauftragte verstärken. Innenerwaltung lehnt ab
Fast ein halbes Jahr war bei der Polizei die Stelle des „Ansprechpartners für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ vakant. Der derzeitige Homobeauftragte, Jörg- Hartmut Riechers, ist seit dem 8. Dezember des letzten Jahres krankgeschrieben. Erst seit dem 28. April gibt es einen Vertreter: „Bis auf weiteres“, so ein Sprecher der Polizei, bekleidet Kriminaloberkommissar Uwe Löher die Stelle des Ansprechpartners, alles weitere hänge davon ab, ob Riechers in den Polizeidienst zurückkehren könne.
Das schwierige Verhältnis zwischen Polizei und Homosexuellen, geprägt von Vorurteilen und mangelnder Sensibilität bei Ordnungshütern und Mißtrauen bei Homos, erfordert kontinuierliche Aufklärungsarbeit auf beiden Seiten. Zwar präsentierte sich die Polizei auf dem schwullesbischen Stadtfest in Schöneberg unter dem kumpelhaften Banner „Wir sind für Dich da!“. Mit der Zielgruppe war so etwas wie Vertrauen unter Vorbehalt erst entstanden, nachdem Anfang der 90er Jahre unter der rot-grünen Koalition der erste Homobeauftragte der Polizei, Heinz Uth, seine Arbeit aufnahm. Für seine Pionierarbeit nahm der engagierte Beamte das Bundesverdienstkreuz mit in den Ruhestand.
Für den bündnisgrünen Abgeordneten Anselm Lange ist der Umstand, daß fast ein halbes Jahr kein Stellvertreter für den Kontaktbeamten benannt wurde, „ein Ausdruck krasser Geringschätzung der Polizeiführung gegenüber dieser immens wichtigen Stelle“. In einem offenen Brief an den Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky geht Lange in die Offensive: Die Stelle bedürfe dringend einer Aufwertung. Bereits seit der Einrichtung des Postens im Jahr 1992 sei „offensichtlich, daß die vielfältigen Aufgaben des Ansprechpartners (...) von einer Person nicht adäquat wahrgenommen werden können“.
In einer Kleinen Anfrage hat der Abgeordnete den Senat befragt, ob diese Einschätzung von der Senatsverwaltung für Inneres geteilt werde und ob es „Überlegungen hinsichtlich der Einrichtung einer zweiten Planstelle in diesem Bereich“ gebe. Die Antwort wird in dieser Woche veröffentlicht und liegt der taz bereits vor. Ein klares Nein, alles in Butter: „Die breitgefächerte Tätigkeit (...) ist von einer Person durch Bildung von Aufgabenschwerpunkten anderer Polizeidienststellen zu bewältigen, zumal die Aufgaben teils im Zusammenwirken mit anderen Polizeibeamten wahrgenommen werden.“ Zu diesen Aufgaben zählen unter anderem: Schulung und Beratung von Polizeiangehörigen, Ermittlung bei Straftaten gegen Homosexuelle, Präsenz in der schwullesbischen Subkultur, etwa durch Sprechstunden, und die Pflege kontinuierlicher Kontakte zu Projekten wie dem Schwulen Überfalltelefon des Informations- und Beratungszentrums Mann-O-Meter.
Abschlägige Bescheide erhielt Lange auch bei weiteren Kritikpunkten: Dringend erforderlich ist seiner Ansicht nach vor allem eine Geschäftsanweisung des Polizeipräsidenten, nach der vor Polizeiaktionen an homosexuellen Treffpunkten prinzipiell der Ansprechpartner informiert und gehört werden muß. Denn bislang haben die Berliner Dienststellen lediglich ein Fernschreiben zu den Akten genommen, in dem die Zuständigkeit des Ansprechpartners festgelegt ist. Rechtlich ist dieser Hinweis kaum relevant; Geschäftsanweisungen hingegen sind verbindlich und müssen halbjährlich von den Polizeibeamten rezipiert und unterschrieben werden. So wäre es künftig unmöglich, den Fachmann für Homofragen im Ernstfall zu umgehen. Um dessen Einfluß zu stärken, so Lange, sollte die Stelle künftig außerdem direkt im Polizeipräsidium angesiedelt werden statt wie bisher beim Landeskriminalamt. Mittelfristig würde der offen schwule Bündnisgrüne dem Fachmann gerne eine Fachfrau zur Seite stellen. Zielvorstellung: „Ein schwuler Mann und eine lesbische Frau auf zwei Planstellen. Die Zeit ist einfach reif dafür.“ Teilt der Senat diese Einschätzung? Die Antwort läßt an Klarheit und würziger Kürze nichts zu wünschen übrig: „Nein.“ Holger Wicht
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