■ H.G. Hollein: Besorgungen
Die Frau, mit der ich lebe, hat einen ausgefüllten Tagesablauf. Trotzdem findet sie Zeit, an mich zu denken. Und sie ruft mich dann auch immer gleich an, um mir zu sagen, was ich noch eben schnell erledigen könnte. Unlängst etwa sollte ich kurz vor Ladenschluß noch dringend eine Wurzel frischen Meerrettich erwerben. Das klingt auf den ersten Blick sicher nicht nach einem unbilligen Anliegen, resultierte aber aufgrund einer unseligen Verkettung mangelnder Biologiekenntnisse meinerseits und gewisser sprachlicher Lücken der türkischen Verkäuferin andererseits im Kauf eines stattlichen Rettichs - auch „Radi“ genannt -, der sich für die von der Gefährtin erwogene Kreation einer Meerrettichsauce als hoffnungslos untauglich erwies. Ich stehe in diesen Momenten in den Augen der Gefährtin nicht gerade als Erfolsgstyp da. Es hilft auch nichts, daß mich in solchen Fällen ein schmerzlich erworbener Instinkt das bevorstehende Unheil in geradezu klassich-tragödischem Ausmaß ahnen läßt. Wenn ich – ausgesandt, einen grauen Wimperntusche-Stift zu besorgen – sehe, wie die Verkäuferin, ohne zu zögern, nach einer Nagellackflasche greift, weiß ich, was kommt. Zwar gelang es mir in diesem Fall, das Ruder des Schicksals noch in die Richtung des eigentlich gewünschten Produkts herumzuwerfen, allein, mein demütig-ergeben geflüsterter Wunsch nach der grauen Farbvariante war mehr, als ein ungnädiger Gott mir zu erfüllen bereit war. Jetzt gehe ich eben wieder los und tausche – die Verwünschungen der Gefährtin im Ohr – den blauen Stift wieder um. Heute habe ich es – „mal eben“ und wider besseres Wissen – unternommen, das schadhafte Rücklicht an der Gefährtin Fahrrad zu richten. Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, wie sie reagieren wird, wenn ich ihr eröffne, daß sie jetzt fürs erste auch ohne ein funktionierendes Vorderlicht auskommen muß.
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