: Geschlechtergemetzel
■ Brecht und Shepard: Mit zwei ganz unterschiedlichen Stücken wurde das Theaterfestival „Die Wüste lebt!“ in den Kammerspielen eröffnet Von Barbora Paluskova
Ob das Motto „Die Wüste lebt!“ auch dieses Jahr ein Statement ist oder Beschwörungsformel bleibt, wird man erst ganz zum Schluß entscheiden können. Auf jeden Fall ist es ein verlockender Wegweiser, der zum dritten „Festival junger Regisseure und Schauspieler“ in die Hartungstraße zeigt. Über eine Woche lang stellen neun Hamburger Noch- und Ex-Regieschüler in den Kammerspielen ihre aktuellen Stücke vor. Daß die Arbeiten so unterschiedlich sind wie die Produzenten, wurde bei der Eröffnung am Donnerstag abend deutlich. Mit Sam Shepards Wilde Liebe und Brechts Fragment Der Untergang des Johann Fatzer standen sich zwei ganz unterschiedliche Weltsichten gegenüber: abstrahierte Innenschau auf der einen, Ausblicke auf ein morsches Sozialgerüst auf der anderen Seite.
Telat Yurtsever war bereits im letzten Jahr mit Heiner Müllers Landschaft mit Argonauten im Festivalprogramm vertreten. Diesmal widmete er sich dem zeitlosesten aller Themen, dem Geschlechterkrampf. Die Wilde Liebe des amerikanischen Autors Shepard interpretiert Yurtsever als ein relativ zahmes und ziemlich komisches Duell eines Pärchens, das vom Wechsel zwischen Erzählung, Deklamation und Aktion lebt. Das Kunststück, mit ausgestreuten emotionalen Schnipseln eine Beziehung zum Scheitern zu bringen, ohne eine Geschichte erzählen zu müssen, ist dem Regisseur gelungen. Der Weg zum Unglück führt von der gierigen Ausschau nach mimischen Mini-Signalen über müde vorgetäuschte Leidenschaft direkt in die Dauerkrise.
Leider verläßt sich Yurtsever dabei ausschließlich auf die Ausdruckskraft der beiden Darsteller. Mißtrauisch beäugt von Georgia Hoppe, die mit Klarinette und Saxophon Schlangenbeschwörer-Melodien vorgibt, sind Alexandra Helmig und Mehmet Kurtulus auf der leeren schwarzen Bühne allein. Das läßt mangels Ablenkung das Stück manchmal ins Peinliche kippen – vor allem dann, wenn es nicht mehr komisch ist, sondern ernst werden soll. Helmig und Kurtulus sind zwei ungleiche Partner. Ihm nimmt man vom Schrecken bis zur Wut die Gefühlsausbrüche ab, ihr – meist – nicht.
Mit wesentlich mehr Aufwand inszenierte Christoph Diem das Brecht-Fragment. Hier war das Mehr ausnahmsweise mal nicht weniger, sondern eine intensive und, wie versprochen, kantige Einsicht in eine mordschwangere Bruchbude. 1917 entlassen sich vier Soldaten aus dem Krieg und warten in einem Versteck darauf, daß der Rest auch endlich schießmüde wird. Vergeblich. Kollektives Karottenknabbern und das Schlachten von Frauen in Frischhaltefolie hilft nicht recht, die Zeit zu vertreiben. Der Anführer versagt, und Der Untergang des Johann Fatzer geht folgerichtig durch Erdrosseln vonstatten.
Diems Fatzer ist dämonisch und sexy, die Frauen abgeklärt, die drei Gefolgsmannen dagegen eher blaß bis kasprig. Letzteres verleiht dem Stück eine unerwartete Wendung: Es läßt sich dem ollen Brecht ja sogar eine komische Seite abgewinnen.
Bewußt bruchstückhaft und legitimerweise unvollkommen waren beide Aufführungen. Die Wüste ist bei Yurtsever einer Baustelle, bei Diem eher einer Sandkiste ähnlich. Doch das sind nur zwei mögliche Namen für ein Biotop.
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