Muffensausen auf Panflöte

■ Das Blaumeier-Atelier spektakelt wieder: Beim „Elfenbeinander“ von und mit Pan, seiner Flöte, seinen Ur-Ur-Ur-Enkeln und 122 anderen im Bürgerpark

Irgendeine Ordnung muß sogar das Chaos haben. „Ich bitte Sie, auf dem Weg zu bleiben – es sei denn, ich ordne anderes an“, sagt der Waldführer (gelbe Gruppe, Untergruppe dreieckiges Fähnchen) in seinem Wer-weiß-was-Kostüm. „Und Sie da“, fährt er etwas strenger fort, „stellen Sie bitte das Rauchen ein, wenn wir hinter die Kordel getreten sind.“ Zu jeder Reisegruppe gehört halt immer irgendjemand, dem alles erklärt werden muß. Zum Beispiel, daß Elfen Nichtraucherinnen und vor allem lichtscheue Wesen sind.

Es ist die Kordel (schwarz-weiß, vermutlich Plastik), die die Welt der RaucherInnen, Ex-RaucherInnen und Noch-nicht-RaucherInnen von der Welt der Elfen, Gnome, Riesen, Götter und Schrate trennt. Die Verwaltung des Bremer Bürgerparks gewährt heute Einlaß ins Reich hinter der Kordel. Genau genommen sind die beiden Herren (graue Janker mit grünem Revers) auf dem Podium am Marcusbrunnen keine echten Parkdirektoren. Die Herren sind Schauspieler von „Blaumeier“, dem „Projekt Kunst und Psychiatrie“, das nach einer Abstinenzphase jetzt wieder zu einem großen, nachgerade monumentalen, also eigentlich knusperzarten Theaterspektakel lädt. Es heißt „Elfenbeinander“ und trägt sich unter Verantwortung von 150 Mitwirkenden seit gestern abend mitten im Bürgerpark zu.

„Wir wollen heute eine Feier feiern“, macht der falsche Vorsitzende des Parkvereins in echt charmantem, weil entwaffnend einfachem und doch alles sagendem Blaumeier-Deutsch Appetit auf das Spektakel, und sein falscher Vertreter schmettert ein „Oh, deutscher Wald“ hinterher. Schon ist das Publikum (maximal 480 Menschen) in acht Gruppen (von maximal 60 Menschen) aufgeteilt, und die WaldführerInnen mit ihren blauen, gelben, roten, vier- und dreieckigen Winkeln geleiten ihre Gefolgschaft ins finstere Unterholz.

„Elfenbeinander“ ist ein Schauspiel in zwei Teilen. Auf den Parkspaziergang durch den nächtlich bevölkerten Wald folgt ein Stück in einem Freilufttheater. So haben die Blaumeiers, diese Ateliergroßfamilie von echten und wahren Irren, von Leuten mit und ohne Psychiatrieerfahrung, Gelegenheit, alle Register zu ziehen: Singend vom Baß bis Sopran (inclusive Responsorium), dazu masken- und kostümbildend, ulkend und theaterspielend und durch die verschwägerte Blaskapelle „Lauter Blech“ auch instrumental-musikalisch.

Schon tief im Wald versperren Schrate den Wandernden den Weg, später hängen Riesenspinnen in ihren Netzen, und noch tiefer im Wald tauchen falsche Echsen (zum Glücke in Neopren) aus dem Emmasee auf: Es ist ein abenteuerlicher Rundgang vorbei an Wesen mit Riesenköpfen, an einem golfenden Sisyphos und einem Gondoliere sowie an Adam und Eva in ihrem Paradies. Es ist ein Kaleidoskop voller Fein- und Hintersinn, und wenn irgendjemand aus der Gruppe fragt, „ist der Specht nun echt oder gehört er auch dazu“, dann hat er Recht, der Knecht.

So überraschungsvoll das Waldvolk, so schön chaotisch ist das Stück. Gott Pan ist krank, weil ihm Piraten die Flöte geklaut haben. Außerdem fehlt ihm wohl eine Muse. Selbstredend bekommt der wohl zehn Meter große Gott Pan (weißhäutig, mit Widderhörnern) am glücklichen Ende, was er braucht, und es sind nicht die quacksalbernden Ärzte auf der Bühne, die ihm dazu verhelfen.

Blaumeier-Schauspiele haben mit ihren Ensembleauftritten, Maschinen und Maskeraden Ähnlichlichkeit mit dem Bilder-Theater, das ein Regisseur wie Andrej Woron seit zwei Jahren auch dem Publikum im Bremer Theater zeigt. Und doch sind sie vollkommen anders. Was im Stadttheater eine Länge wäre, ist bei Blaumeier einfach ungebändigtes Spiel und Gelegenheit zur Improvisation.

Da rauschen Pans Ur-ur-ur-ur-ur-ur-Enkel Pan und Panne (überaus-überaus reizend: Frank Grabski und Viktoria Tesar) mit ihrem Flugmobil heran und erhalten auf die Frage „Was hat Opa?“ die Diagnose „Muffensausen“ zur Antwort. Morgen ist es möglicherweise „Migräne“ und übermorgen „Magersucht“, und überübermorgen ruft Klein-Pan beim Kampf um die Flöte vielleicht nicht mehr das schöne Wort „Pancke!“, sondern textgetreu „Attacke Pantacke“. Das (einfache) Stück ist eben bei Blaumeier-Spektakeln wie dem „Elfenbeinander“ nur der Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen. So richtig gelingt das nie, und genau das macht Theater dieser Ateliergemeinschaft ganz einfach einzigartig. Christoph Köster

„Elfenbeinander“ heute, 27. Juni, und morgen sowie am 1. und 2. Juli um 21 Uhr im Bürgerpark. Treffpunkt ist der Marcusbrunnen beim Parkhotel. Karten 28 (erm. 18) Mark unter Tel.: 39 53 31