: Nette Headhunters
■ Herbie Hancock spielte mit seiner reanimierten Funkband erfolgreich gegen das norddeutsche Wetter an
Das ist schon ein merkwürdiges Unternehmen, dieses „Nordwolle EXPO Open Air“ auf dem „Gelände des Außenstandortes der EXPO 2000“ in Delmenhorst. Mit etwa 1.500 Zuschauern können die hohen Gagen von Herbie Hancock und seinen Mannen unmöglich an den Kassen wieder eingefahren werden. Aber bei den komplizierten organisatorischen Verflechtungen mit EU-Zuschüssen, Landesmitteln usw. ist gerade dies vielleicht gerade der Sinn der Sache. Den ZuhörerInnen kann das letzlich egal sein. Nach John McLaughlin, Paco de Lucia & Al Di Meola vor zwei Jahren und Al Jarreau im letzten Sommer ist wieder ein hochkarätiger Jazz-Act nach Delmenhorst gekommen.
Zum Glück lagen zumindest auf den teuren vorderen Plätzen (um 70 Mark) Plastik-Capes zum Schutz gegen den Regen aus, denn während des Vorprogramms der amerikanischen Vokalgruppe „The Bobs“ durchnäßte ein ergiebiger Schauer die ZuhörerInnen. Wohl nicht nur deshalb blieb die Reaktion auf die stimmlichen Virtuositäten des Quartetts zwar freundlich aber kühl. Und so blieb als Eindruck in Delmenhorst fast nur das Erstaunen darüber, welche Instrumente und Soundeffekte (von den Rückkopplungen eines Jimi Hendrix bis zum Scratchen eines DJs) die vier mit ihren Mündern erzeugen konnten.
Beim Hauptact blieb es dann zum Glück trocken. Und gleich mit dem ersten Stück ließ Hancock die „Grooves“ anrollen, mit der er in den 70er Jahren seinen Mentor Miles Davis (als schwarzer Jazzstar zumindest) bei den Verkaufszahlen übertrumpfte, und die auch jetzt wieder direkt in die Beine des Publikums schossen. Hancock hatte bereits in den frühen 90ern versucht, seine alte Funkband wieder auferstehen zu lassen. Aber „Headhunters II“ war ein modernisiertes Remake, das seltsam unentschieden versuchte, die alten Songs neu aufzupolieren und damit wohl auch selber nicht zufrieden war.
Jetzt hat Hancock die Originalbesetzung wieder vereint, mit dem Bläser Bennie Mauphin, Bassist Paul Jackson, dem Drummer Mike Clark, der statt Harvey Mason mit der Band auf Tournee ging, und Bill Summer auf „Congas, Shekere, Balafon, Agogo, Cabasa, Hindewho, Tambourine, Log Drum, Surdo, Gankoqui and Beer Bottle“ (so die schöne Aufzählung auf dem Originalalbum). Vor allem aber ließ der Pianist seinen Synthesizers meist beiseite und spielte wie in den schönen alten Tagen die meisten Soli auf dem „Rhodes Electric Piano“. Und darauf ist er immer noch der ungeschlagene Meister. Keiner außer George Duke kann es so schwarz und funky spielen, während Hancock auf dem Yamaha Synthesizer oft wie ein Epigone von Stevie Wonder klingt.
Der extrem trendbewußte Hancock hat also auch gemerkt, daß retro heute chic ist, und so klingen auch die neuen Kompositionen der Band kaum nach den 90ern. In „Tip Toe“ versuchte Paul Jackson als Sänger und Komponist an die schwarzen Protestsongs eines Eddie Harris anzuschließen (“You got to tip toe through the ghetto“), und Bennie Maupin spielte in seinem Stück „Permeation“ einige dunkel, erdige Improvisationen auf der Baß-Klarinette.
Dieser ruhige Song mit vielen Stimmungswechseln war musikalisch wohl der Höhepunkt des Konzerts. Aber die Stimmung stieg natürlich am meisten bei den alten crowdpleasern „Watermelon Man“ und „Chameleon“, die die Band wohl nicht viel anders, aber ganz bestimmt auch nicht verstaubter, als vor 24 Jahren interpretierte.
Als Zugabe gab es dann Hancocks „Cantaloupe Island“, das zugleich viel älter und aktueller als die Songs von „Headhunters“ ist. Die Komposition von 1966 wurde nämlich erst vor einigen Jahren als Sample auf dem HipHopHit „Cantaloupe“ ein Welterfolg, und so forderten die Tänzer vor der Bühne stürmisch „Cantaloupe“ – also ein Stück, das Hancock genau genommen nie gespielt hat. Diesen faux pas könnte ein Jazzer, der nicht so geschickt auf dem Zeitgeist reitet wie Hancock, leicht als Beleidigung auffassen. So aber illustriert er sehr schön, wie kompliziert das Verhältnis zwischen Publikumserwartungen und der Musik selber sein kann.
Wilfried Hippen
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