: Wohnungspolitik ohne Grundlagen
■ Ohne über genaue Angaben zu verfügen, machen SPD und CDU munter Politik mit geschätzten Zahlen zum Leerstand von Wohnungen
Zwischen 30.000 und 60.000 Wohnungen in der Stadt stehen leer. Obwohl weder die Parteien noch die Bauverwaltung über vollständige Informationen und eindeutige Zahlen verfügen, machen sie mit den unterschiedlichen Schätzungen munter Politik.
Laut Michael Arndt, dem wohnungspolitischen Sprecher der SPD, stellt die Zahl von 60.000 unvermieteten Wohnungen „möglicherweise sogar eine untere Schätzgröße“ dar. Genaue Angaben zum Leerstand hat er jedoch nicht und macht statt dessen Bausenator Jürgen Klemann (CDU) für diesen Mißstand verantwortlich.
Arndts Schätzung kam zu einem wohl gewählten Zeitpunkt. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing stritt sich in den Haushaltsverhandlungen bis gestern nachmittag mit Senatskollege Klemann um die Wohnungsbauförderung für 1999. Die SPD- Sparfrau beabsichtigte, statt der geplanten 500 öffentlich geförderten Wohnungen im kommenden Jahr weit weniger zu bewilligen. Nachrichten über den hohen Leerstand, mithin den angeblich befriedigten Bedarf der Wohnungssuchenden, kamen da gerade recht.
Aus Bausenator Klemanns Verwaltung, die die 500 Wohnungen unbedingt retten wollte, waren andere Zahlen zu hören. „Allerhöchstens 30.000 von insgesamt 1,8 Millionen Wohnungen in der Stadt stehen gegenwärtig leer.“ Wer weiter bauen will, schätzt den Leerstand eher gering ein.
Auch der Mieterverein hält die SPD-Angaben für „überhöht“. „Wir brauchen weiterhin öffentlich geförderten Wohnungsbau“, sagte gestern der Geschäftsführer des Mietervereins, Hartmann Vetter. Die Erfahrung zeige, daß Normalverdiener, die sich nicht viel mehr als 10 Mark Kaltmiete leisten könnten, nur unter großen Schwierigkeiten eine Wohnung fänden. „Dort ist das Angebot gering und der Markt angespannt“, so Vetter. Ein größeres Angebot, zeitweise Leerstände und mehr Wahlmöglichkeiten für die MieterInnen gebe es dagegen in neuen Gebäuden mit Quadratmeterpreisen von 15 Mark und darüber.
Wie groß ist der Leerstand wirklich? Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) verzeichnet 11.400 unvermietete Einheiten. Das sind Wohnungen, darunter viele öffentlich geförderte, die die MieterInnen wegen schlechter Lage oder Ausstattung und des zu hohen Preises ablehnen. Hinzu kommen Tausende, die instand gesetzt oder modernisiert werden, über deren Zahl BBU-Sprecher Claus Wedemeier sich aber nicht äußern will.
Die Bauverwaltung gibt den von den Bezirken genehmigten Leerstand unter anderem wegen Instandsetzung mit 15.000 Wohnungen an. Dieses Segment überschneidet sich mit den BBU-Angaben zum Teil, aber nicht gänzlich. Weitere 15.000 Wohnungen stehen laut Bauverwaltung vor allem im Osten leer, weil die Eigentumsverhältnisse immer noch nicht richtig geklärt sind.
Der Verband der privaten Gesellschaften nennt zusätzlich 5.000 unvermietete Einheiten. Diese Zahlen addieren sich zu einer Größenordnung von rund 40.000 nicht genutzten Wohnungen. Wie hoch die Dunkelziffer unter anderem im Segment von Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern ist, läßt sich kaum schätzen. Hannes Koch
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