Kommentar: Asyl für Deserteure!
■ Kosovo: Die Strategie der Stabilität um jeden Preis ist am Ende
An der albanischen Guerilla, der UCK, führt nun kein Weg mehr vorbei. Jahrelang hatte Ibrahim Rugova, der Führer der Kosovo-Albaner, vor einer Eskalation gewarnt, falls seine gewaltfreie Strategie keine sichtbaren Ergebnisse zeitige. Doch die Interessen der Kosovo-Albaner wurden auf dem Altar von Dayton geopfert.
Ohne den Kriegstreiber Milošević, so weit hatte es die westliche Diplomatie gebracht, war 1995 in Bosnien kein Frieden mehr zu haben. Mit Milošević aber war über den Kosovo nicht zu verhandeln. Das Ergebnis der Blockade: Für eine Autonomie ist es nun zu spät. Eine Kompromißlinie zwischen serbischen und albanischen Forderungen ist nicht in Sicht. Die Minimalforderung der Albaner ist die Unabhängigkeit. Hatte der Westen, so fragen sich die Kosovo-Albaner, nicht bis zum Spätsommer 1991 an der Einheit Jugoslawiens festgehalten, um dann wenige Monate später doch die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens zu akzeptieren? Und immerhin war der Kosovo nach dem Ersten Weltkrieg, anders als Kroatien, das die Vereinigung mit den Serben in einem gemeinsamen Staat anstrebte, allein aufgrund eines strategischen Kalküls der damaligen Großmächte dem neu geschaffenen Jugoslawien zugeschlagen worden. Fast ein Jahrzehnt lang hat der Westen den Ausschluß der Albaner aus Wirtschaft und Staat, die faktische Apartheid, tatenlos hingenommen, weil Milošević zumindest die Stabilität garantieren konnte. Und auch heute schreckt die deutsche Regierung mehr als die Beschießung von Dörfern und Städten die Vorstellung neuer Flüchtlingsströme, die sich nach Deutschland ergießen könnten.
Heute, wo Milošević zu einem Faktor der Destabilisierung geworden ist, steht der Westen hilflos da, weil er mit seiner Strategie der Stabilität um jeden Preis am Ende ist. Noch ist in Serbien keine Alternative zu Milošević in Sicht. Der aber wird mit der UCK noch weniger ernsthaft verhandeln als mit Rugova. Und da die Nato ohne UN-Plazet so schnell nicht interveniert, wird der Krieg um die Kontrolle des Landes – wer von „ethnischen Säuberungen“ spricht, verkennt die Intention Miloševićs – vorerst weitergehen. Wenn schon der Westen nicht militärisch eingreift, wäre es hilfreich, er würde wenigstens den serbischen Deserteuren öffentlich politisches Asyl anbieten. Was spricht, bitte sehr, dagegen? Thomas Schmid
Bericht Seite 5
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