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Darf jeder vors Mikro?

■ Journalisten fordern Klostermeiers Rücktritt / Entlassener Peter M. „kein Einzelfall“

Radio Bremen Intendant Karl-Heinz Klostermeier soll seinen Hut nehmen. Das hat der Deutsche Journalistenverband (DJV) in Bremen jetzt erneut gefordert. Anlaß ist die fristlose Kündigung des Moderatoren Peter M. „Der Fisch stinkt vom Kopfe her“, sagt Harald-Gerd Brandt, stellvertretender Landesvorsitzender des DJV und Redakteur bei Radio Bremen. Anstatt den Nachwuchs auszubilden, setze der Sender auf unqualifizierte freie Mitarbeiter, die oft überfordert seien. Dazu zähle auch Peter M. Der Moderator hatte in der ARD-Popnacht gesagt: „Ich hasse Anne Frank“. Klostermeier feuerte den Entertainer, und zwar obwohl er sich selbst auf einer Rundfunkratsitzung mit einem Vergleich aus der Nazi-Zeit im Tom vergriffen hatte.

taz: Herr Brandt, Sie fordern erneut Klostermeiers Rücktritt. Warum?

Harald-Gerd Brandt, DJU: Im Gegensatz zu Peter M. hat Klostermeier in der Rundfunkratssitzung bewußt einen Vergleich zur Nazi-Zeit gezogen. Peter M. hat in einer Nachtsendung aus Dummheit ein miserables Interview abgeliefert.

Politisch gesehen ist Klostermeiers Entscheidung heuchlerisch. Das hat die taz auch geschrieben. Rechtlich gesehen hat ein Arbeitgeber aber das Recht, einen Mitarbeiter zu feuern, wenn er schlechte Arbeit abliefert. Peter M. hat offenbar nicht gewußt, wer Anne Frank war. Eine gewisse Allgemeinbildung kann ein Intendant schon von Leuten verlangen, die sich Journalisten nennen. Das traurige Gesicht des deprimierten Mädchens würde ihn ankotzen, hat M. gesagt. Die Hörerin mußte Peter M. erst darauf hinweisen, daß das jüdische Mädchen Anne Frank im KZ ermordet worden ist.

Peter M. galt bei Radio Bremen aber jahrelang als sehr qualifiziert. Er hat erfolgreiche Sendungen für Radio Bremen 4 gemacht. Für die Qualifikation solcher Moderatoren sind auf der Hansa-Welle und bei Radio Bremen Wellenchefs verantwortlich. Auch Programmdirektor Hermann Vinke, hätte sich schon seit Jahren um das Niveau der Sendungen kümmern müssen.

Eine dieser erfolgreichen Sendungen, die von Peter M. moderiert wurde, ist die Nullnummer. Die Sendung ist an Niveaulosigkeit kaum zu überbieten. „Witze“ wie: „Was hat 50 Beine und stinkt nach Urin – eine Polonaise im Altenheim“ oder: „Es gibt keine Frau, die willensstark, intelligent, attraktiv und innovativ ist“, sind an der Tagesordnung. Und das ist nicht etwa die Jugendsendung eines Privatsenders, sondern die einer öffentlich-rechtlichen Anstalt.

Die Nullnummer ist aber schon seit Jahren im Programm. Wir haben auch auf der Hansawelle Fälle, wo ein Reporter zum Beispiel einen Vergleich gezogen hat zwischen dem Lied „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“, gesungen von Hannes Wader, und dem SA-Lied „Die Reihen fest geschlossen“. Peter M. ist kein Einzelfall. Ich kann ihnen viele solcher Fälle aufzählen, wo junge Leute vors Mikrophon gesetzt werden, obwohl sie völlig überfordert sind.

Wenn sie überfordert sind, wa-rum kauft Radio Bremen keine besseren Leute ein?

Seit Vinke Programmdirektor ist, ist es Mode geworden, junge, billige Moderatoren und Redakteure von Privatsendern einzukaufen. Nach dem Prinzip „hire und fire“ halten sie sich, oder sie gehen. Peter M. fällt jetzt ins Bodenlose. Nach seinem Rausschmiß weiß er nicht, wovon er leben soll.

Die „Freien“ lassen sich ihren rechtlosen Status aber teuer bezahlen. Bekannte Moderatoren kassieren angeblich zwischen 500 bis 800 Mark pro Sendung.

Direktoren bekommen im Gegensatz zu freien Mitarbeitern hohe Abfindungen, wenn sie gehen müssen. Vor etwa einem Jahr ist ein Bühnenarbeiter wegen einer ausländerfeindlichen Äußerung rausgeflogen und stattlich abgefunden worden.

Werden die freien und – wie Sie sagen – oft überforderten Mitarbeiter im Sender ausgebildet?

Nein. Früher haben festangestellte Redakteure Autorenpflege betrieben. Heutzutage gilt das Prinzip: Jeder darf sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausprobieren. Sogar in den O-Ton-Nachrichten gibt es bei Radio Bremen viele unausgebildete junge Leute. Wir haben bei Radio Bremen zwei Volontäre. Im Grunde genommen müßte aber in jeder Redaktion ein Volontär sitzen. Dann hätten wir ständig einen gut ausgebildeten Nachwuchs. Wenn man immer nur freie Mitarbeiter einstellt, muß man sich nicht wundern, das so etwas dabei herauskommt.

Fragen: Kerstin Schneider

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