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"Det hält mich am Ticken"

■ Das Büro von einst hat ausgedient. Längst setzen viele Firmen auf variable Arbeitsplätze

Was dem einen seine Büropalme, ist dem Kollegen am Nebenschreibtisch sein Star-Trek. Das Telefon in Form der alten Enterprise, das bei jedem Anruf jenen grellen Roter-Alarm-Ton ausstößt, der an galaktische Risiken erinnert. Nicht gerade ein praktisches Design, doch den Kollegen inspiriert's. Ebenso wie die Plastik- Doubles von Bart Simpson, die auf dem Rechner paradieren, und dem Häuptling Sitting Bull neben dem Eishockeypuck des East-West- Cups von 1986 in St. Petersburg.

„Die Mischung aus persönlichen Sachen und Arbeitsutensilien, det hält mich am Ticken“, erläutert der Kollege das Prinzip seiner Bürogestaltung. Der Arbeitsplatz im Gemeinschaftsbüro – ein zweites Zuhause.

Urig anmutende Biotope wie diese sind mittlerweile vom Aussterben bedroht. Denn immer weniger Büromenschen haben heute noch Einfluß auf die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes. Im Bestreben nach optimaler Effizienz der Mitarbeiter basteln Experten aus Design, Achitektur und der Büromöbelindustrie seit Jahren am Büro der Zukunft. Neue Arbeitsweisen werden genauso in die gestalterischen Grundprinzipien aufgenommen wie moderne Kommunikationsmittel und neue Informationstechniken. Mobilität und Flexibilität werden zu Begriffen, um die in der Arbeitswelt von heute alles kreist. Das Ziel: der kreative Kick. Der erste Schritt dorthin: Kommunikation und Teamwork.

„Fragt man die Angestellten in einem Büro, was sie sich unter Kommmunikation vorstellen“, sagt der freundliche Büroausstatter eines großen Charlottenburger Büromöbelhauses, „dann haben alle nur Technik im Sinn: Computer, Fax, Internet und Handy.“ Alles Quatsch, findet der Fachmann. Nichts geht über das Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Kommunikation und Denken fänden schließlich überall statt: ob am Kopierer an den Akten oder auf den Gängen.

In modernen Firmen schlägt sich diese Erkenntnis in einem ungewöhnlichen Grundkonzept nieder: So nimmt beispielsweise bei der Multimediafirma Artemedia im Zentrum am Zoo eine gigantische Teeküche mit rund hundert Quadratmetern ein Drittel der Gesamtfläche ein. Obwohl die Arbeitsbereiche dafür erheblich kleiner ausfallen, wird die großzügige Küche von den Mitarbeitern grundsätzlich äußerst positiv bewertet.

In den meisten Büros herrscht indes Raumnot. Besonders in Sachen Conferencing sind daher neue Lösungen gefragt. Da gibt es riesige Säle, sagt der Einrichtungsexperte, und die stehen die meiste Zeit über leer. Ideal erscheint daher ergänzend zum – mittlerweile weitgehend verpönten – Zellenbüro der zusammenklappbare Konferenztisch auf Rädern. Für kurze Meetings wird er an einem zentralen Ort postiert, danach läßt er sich platzsparend und flach gefaltet einfach an die Wand schieben.

Flexible Arbeitsmethoden erfordern neue Arbeitsplatzlösungen. Manche Firmen, wie zum Beispiel die IBM in Deutschland, bieten für ihre Außendienstmitarbeiter schon gar keine festen Arbeitsplätze mehr an. Die Alternative heißt – Star-Treck-Telefon ade! – Desk-Sharing oder Free Adress. Der einzige Mensch in der Firma, der immer genau weiß, an welchem Platz er am nächsten Tag seinen Job antritt, ist der Pförtner. Alle anderen Mitarbeiter verstauen ihre Arbeitsunterlagen samt Urlaubspostkarten und Familienfotos in einem Rollcontainer, dem Roll-Boy, der nach jedem Arbeitstag beim Pförtner parkt. Bei Schichtantritt vermittelt dieser dem Angestellten schließlich irgendeinen freien Schreibtisch im Haus. Bis er den erreicht hat, ist auch schon seine persönliche Telefonnummer durchgestellt und der Computer geladen.

Andere Unternehmen quartieren einige ihrer Mitarbeiter vollkommen aus. Für das Home-Office, den Tele- oder Bildschirmarbeitsplatz zu Hause, empfehlen Büromöbelhersteller sogenannte Multifunktionsmöbel. Zum Beispiel einen Schreibtisch mit Fußrollen, Schwenkarmen, Klappen und höhenverstellbaren Tischbeinen. Der eignet sich, an die Wand gerückt, als Arbeitstisch für verbissene Brüter, für Kreative und Träumer kommt er vor das Fenster. Nach Feierabend in die Mitte des Raumes geschoben, ist der Schreibtisch hingegen genauso gut als Eß- oder Wickeltisch zu gebrauchen. Der Nachteil für den Benutzer des multifunktionalen Schreibtisches: Er zwingt zum Aufräumen. Ordnung schafft Effizienz, da freuen sich die Organisatoren.

Was dem einen seine Freude ist, geht dem Kollegen schon mal gegen jedes Ästhetikempfinden. Im Büro des internationalen Design- Zentrums zum Beispiel hat die Chefin Angela Schönberger striktes Blumentopfverbot verhängt. Bei allen Effizienzbestrebungen sei dennoch wichtig, sagt Schönberger, daß der Büromensch sich ebenso wohlfühlt wie der Kollege mit dem Star-Trek-Telefon. Designdiktate sind ohnehin zwecklos. Denn gesetzt den Fall, der Kollege will eines Tages eine Fußbank unter seinem Schreibtisch, dann sollte man ihm eine geben. Sonst nimmt er sich am Ende irgendeinen Stapel alter Zeitungen – und das sieht erst recht doof aus. Kirsten Niemann

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