: Auf der stillen Jagd nach den Stones
■ Odyssee im Filmraum, oder: Wie ein taz-Kinokenner obskure Filmvorlieben pflegt / Heute abend läuft im Kino 46 der deutsche Dokumentarfilm „Schneeweißrosenrot“
Einmal im Monat darf sich jemand für die „Igel-Staffel“ des Filmbüros Bremen einen Dokumentarfilm wünschen, der dann jeweils am zweiten Mittwoch des Monats gezeigt wird. Diesmal bin ich dran, und ich hatte mich eifrig um dieses Privileg bemüht.
Ich wollte nämlich unbedingt einen Film selbst sehen und dann meinetwegen auch vorstellen: In dem Roman „Underworld“ von Don DeLillo wird beschrieben, wie einige New Yorker in den frühen 70er Jahren den Film „Cocksucker Blues“ von Robert Frank ansehen. Was da über diese Dokumentation einer Konzerttournee der Rolling Stones geschrieben stand, machte mich extrem neugierig. Eine Zeit lang dachte ich, der Autor hätte sich den Film nur ausgedacht, aber im „Time Out Film Guide“ fand ich ihn dann (unter dem jugendfreien Titel „CS Blues“) beschrieben. Und ein Satz machte mich noch begieriger, den Film zu sehen: „It has acquired considerable cult status, largely on account of the group's reluctance to have it shown – whether because they are portrayed as Satanic Majesties, or just an above-average rock group, is not altogether clear.“
Diesen Film in Bremen zu zeigen, wäre tatsächlich ein großer Coup gewesen, aber leider stellte sich heraus, daß er auch heute noch zu exklusiv ist: Die Stones haben ihn fest unter Verschluß, der Regisseur darf seine eigene Kopie nur einmal im Jahr öffentlich zeigen, und das tat er vor einigen Monaten auf dem Filmfestival von San Francisco. Too bad!!
Aber ich hatte noch einen zweiten obskuren Wunschfilm: Wenn schon, denn schon! Vor einigen Jahren hatte ich auf dem Filmfestival von Locarno „Aileen Wuornos: The Selling of a Serial Killer“ von Nick Broomfield gesehen. Broomfield macht seine ganz eigene Art von Guerillia-Dokumentarfilmen, bei denen die Dreharbeiten selbst fast spannender beschrieben werden als das jeweilige Subjekt. Zur Zeit ist er gerade in den USA sehr erfolgreich und umstritten mit seinem Film „Kurt & Courtney“ über das Leben und Sterben von Kurt Cobain und die extrem zwielichtige Courtney Love. „Aileen Wuornos“ erzählt von Amerikas erstem weiblichen Serialkiller und davon, wie sie schamlos von denen ausgenutzt wurde, die in Hollywood mit ihrer Tragödie schnelles Geld machen wollten. Eine irrwitzige, spannende Geschichte, durch die man viel über Amerika erfährt, und wir hätten den Film auch nach Bremen bekommen. Broomfield selber sendete ein Fax aus L.A.: 800 Dollar plus Versandkosten hätte der Spaß gekostet. Also wieder nichts.
Nun wird also mein Wunschfilm Nr. 3 gezeigt: „Schneeweißrosenrot“ von Christa Ritter und Rainer Langhans. Eine ganze Zeit lang kommt einem die Geschichte wie ein Märchen vor: Zwei schöne, zänkische Schwestern ziehen in den wilden 60er Jahren von Kassel in die weite Welt hinaus, und sie treffen unter den Reichen und Begabten solche Prinzen wie Dennis Hopper, Alexander Kluge, Mick Jagger, Bob Dylan oder Wim Wenders. Gisela und Jutta Schmidt flogen zwischen Berlin, Rom und Los Angeles hin und her, und eine von ihnen schnappte sich mit Paul Getty III schließlich den Erben eines der größten Privatvermögen, der dann allerdings nach einer Überdosis Drogen zu einem schwerstbehinderten Invaliden wird.
Der Vergleich klingt vielleicht ein wenig zu grandios, aber am ehesten erinnern diese beiden außergewöhnlichen Zwillingsschwestern noch an Casanova. Auch sie zogen von Hof zu Hof und konnten jeden mit Charme, Leidenschaft und Intelligenz verführen. „Hier ist ein sehr singuläres Gehirn am Werk“, sagt Alexander Kluge über eine der Schwestern, andere Kommentare kommen von solch unterschiedlichen Zeitgenossen wie Timothy Leary, Werner Herzog, Leonard Cohen, Bazon Brock und Bommie Baumann. Da wird einfach eine unglaubliche Lebensgeschichte erzählt, die dadurch, daß alles durch die Zwillinge wie gedoppelt erscheint, nur noch phantastischer wird.
Es gibt Dokumentarfilme, die alleine schon durch das Material, das sie vor dem Zuschauer ausbreiten, sehenswert sind. „Schneeweißrosenrot“ ist einer davon, denn rein filmisch gesehen ist er eher enttäuschend. Als ein grellbuntes Bilderbuch – ganz konventionell gestrickt mit „talking heads“ und Archivmaterial wie Photos, Zeitungsschlagzeilen und Filmausschnitten – überzeugt er noch am meisten. Aber leider ist Rainer Langhans, der zeitweise mit einer der Schwestern liiert war, einer der beiden Regisseure, und seine Inszenierung der beiden geht einem schnell auf die Nerven. Da sieht man sie vor der Kamera sitzend weinen, lachen, miteinander zanken, mit „Rainer“ hinter der Kamera schimpfen usw. Eine alberne, pseudo-surrealistische Filmsequenz inszenierten die Schwestern gar selbst mit Dennis Hopper als ihrem Gegenspieler und mit all diesen bemühten Versuchen, originell zu sein, blamieren sich Langhans und die Schwestern gründlich. Aber auch das hat sein Gutes: Wenn diese Mischpoke auch noch ein epochales Meisterwerk aus ihren Lebensgeschichten gezimmert hätte, dann wären wir normalen Sterblichen ja an unserem Neid vollends erstickt.
Wilfried Hippen
„Schneeweißrosenrot“ läuft heute abend um 20.30 Uhr im Kino 46
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