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Grauschlammig bis komisch

Sechsunddreißig Künstler in vier Kapiteln – das Haus der Kulturen der Welt zeigt mit Kunst aus der Sammlung Chateaubriand den „Brasilianischen Blick“  ■ Von Michael Nungesser

Kaum ein Land ist künstlerisch im Laufe der letzten zehn Jahre in Berlin so präsent gewesen wie Brasilien! Gerade waren noch Farbfotos von Paulo Greuel in der Fabrik Schlegelstraße zu sehen oder die Bild-Objekte von Manfredo de Souzanetto in der Galerie Barsikow am Gendarmenmarkt, nun gibt es die Ausstellung „Der brasilianische Blick“. Ihr Zustandekommen verdankt sie vor allem der Deutsch-Brasilianischen Vereinigung in Berlin, die 1990 mit der Gemeinschaftsaktion Berliner Galerien „Art Brasil“ auf sich aufmerksam machte und schon mehrere Ausstellungen sowie Künstler-Workshops in beiden Ländern durchführte. Und seit zwei Jahren ist zudem das Brasilianische Kulturinstitut (das einzige lateinamerikanische in der Hauptstadt) aktiv. Nicht zu vergessen der jetzige Gastgeber, das Haus der Kulturen der Welt.

Auch in Deutschland lebende brasilianische Künstler tragen das ihre dazu bei. Christina Canale, Axel Flemming und Carla Guagliardi aus Berlin sind an der Ausstellung beteiligt. Ihre Werke stammen aus der Sammlung von Gilberto Chateaubriand, dem der „Brasilianische Blick“ zu verdanken ist. Schon Vater Assis Chateaubriand war Sammler und Mitbegründer des Kunstmuseums in São Paulo (eine Auswahl daraus zeigte 1988 die Staatliche Kunsthalle Berlin unter dem Titel „Von Raffael bis Goya“).

Holz, Kupfer und Blei geben Rätsel auf

Sohn Gilberto lenkt den Blick auf die brasilianische Kunst, wie sie sich seit den 20er Jahren entwickelte und seit 1951 mit der Biennale von São Paulo auch ein internationales Forum schuf.

„Er hat getan, was der brasilianische Staat auf allen Ebenen in diesem Jahrhundert versäumt hat: die symbolische Produktion des Landes zusammenzutragen“, schreibt Paulo Herkenhoff im Katalog. Die in der Obhut des Museums für Moderne Kunst in Rio de Janeiro befindliche Sammlung von Chateaubriand wird in vier Kapiteln präsentiert, mit zeitgenössischen Werken von 36 Künstlerinnen und Künstlern: Bilder, Skulpturen, Objekte, Fotos (leider ohne so wichtige Medien wie Installationen oder Video). Ein schwacher Auftakt: Die grauschlammigen Kunststoff-Propheten von Sergio Romagnolo, eine Anspielung auf den berühmten einheimischen Barockbildhauer Aleijadinho, verlieren sich in der leeren Eingangshalle des Hauses. „Kunst als Konzept“ vereint Künstler wie Jac Leirner, Cildo Mereiles, Tunga, José Resende und Walterico Caldas (alle an früheren documentas in Kassel beteiligt), deren aus Produktdesign oder Geometrie sich nähernde, hybrid-minimalistische Schöpfungen aus Holz, Kupfer oder Blei Rätsel aufgeben. Fernanda Gomes konstruiert aus Haaren, Seidenfäden oder Zigarettenpapier fragile Wandobjekte, und Gugliardi bringt Kupferrohre, die wassergefüllte Glaskugeln durchbohren, ins Gleichgewicht.

Die Abteilung „Kunst und Respektlosigkeit“ führt Arbeiten vor, bei denen alltägliche Materialien – Sakkos (Flemming), Plüsch oder wattierte Hemden (Leda Catunda) – als ungewöhnlicher Malergrund dienen oder Alltagsgegenstände zu skurrilen Assemblagen verarbeitet sind.

Die Reize von Natur, Barock und Volkskunst

Während Jorge Barro mit einem malerisch zur „Trophäe“ umgestalteten Kühlschrank den Fußballkult aufs Korn nimmt, scheint Jorge Duarte mit einem schmucken Pinguinhaupt auf gipsernem Säulensockel bürgerlichen Ahnenkult zu persiflieren. Verwandtschaftliche ästhetische Beziehungen lassen sich zu „Kunst und Fetisch“ erkennen, wo etwa Efrain Almeida mit Objekten und Hildebrando de Castro in Pastellen auf ironisch-unheimliche Weise an Votiv- und Reliquienkult anschließen.

„Immer Malerei“ zeigt verschiedene Wege, das uralte Handwerk neu zu bestimmen und im Banne von Natur, Barock und Volkskunst vor allem den sinnlichen Oberflächenreizen der Farbmaterie nachzugehen. Als letztes bietet die Abteilung „Jenseits der Kamera“ dem Medium Fotografie ein Forum: Morbid-nachdenkliche Aufnahmen von Miguel Rio Branco stehen neben absurd-komischen Inszenierungen von Carina Weidle. Am Ende ist die Spannbreite des Gezeigten zwar groß, die Kapiteleinteilung angesichts überschaubarer Präsentation eher verzichtbarer Notbehelf.

Haus der Kulturen der Welt, John- Foster-Dulles-Allee 10. Bis zum 13. September. Katalog 29 DM.

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