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Ritterspiele oder Äpfel

■ Wenn die Äpfel aus China die Preise der Südtiroler Ware verderben, muß das Mittelalter ran, um touristisches Geld beizubringen: Der Eppaner Burgenritt

Neckisch sehen sie aus, die bunten Leibchen, die alle 72 Reiterinnen und Reiter des ersten Eppaner Burgenritts überstreifen müssen. Blau sind die Trikots, mit gelben Borten und einem großen Löwen auf der Brust. Gelb und blau, das sind die Farben der Gemeinde Eppan südlich Bozens, in der alljährlich Zehntausende von Urlaubern ihre Ferien verbringen.

Strömten früher die Touristen wie von allein nach Südtirol, haben es heute die meisten Fremdenverkehrsorte südlich des Brenners mit beträchtlichen Einbußen zu tun. Um bis zu 10 Prozent sind in einzelnen Gemeinden die Urlauberzahlen im letzten Jahr zurückgegangen. Die Tourismusorte müssen sich etwas einfallen lassen. „Burgen haben wir in unserer Gegend genug, und mittelalterliche Spektakel sind beliebt“, dachten sich die Verantwortlichen des Tourismusvereins Eppan und kreierten den Burgenritt als touristisches Event der reitsportlichen Art.

60 Kilometer ist die Strecke lang, die Roß und ReiterIn an zwei Tagen zu bewältigen haben. Bergauf und bergab, kreuz und quer durch das Überetsch, wie die Region im Süden Südtirols heißt. Für die Pferde, die oft nur die Weide oder ihren Reitplatz kennen, eine gewaltige Entfernung. Zwischendurch müssen acht Turniere und weitere Pflichtdurchgänge absolviert werden. Ohne ein spezielles Training ist da nichts zu machen.

Der „Apfelschuß“ am Kreuzstein ist das erste Turnier am zweiten Wettkampftag, dem Sonntag. Es gilt – hoch zu Roß –, einen überdimensionierten Apfel zu treffen. „Marlene“ steht in großen Buchstaben über der Zielscheibe. Die Obstbaufirma ist einer der Hauptsponsoren des Burgenritts und nutzt die Veranstaltung, um für ihre Äpfel zu werben. Denn auch die Südtiroler Obstwirtschaft steckt in Schwierigkeiten. Innerhalb kurzer Zeit ist die Volksrepublik China zum größten Obstproduzenten der Welt aufgestiegen und macht den Südtiroler Obstbauern zunehmend Konkurrenz. Auch in Afrika, in den Ländern des früheren Ostblocks und in Südamerika wächst die Erntemenge von Jahr zu Jahr. So konnten sich die Südtiroler Produzenten über ihre Rekordernte im letzten Herbst – 91.000 Waggons Äpfel statt der üblichen 70.000 – nicht so recht freuen. Die Preise verfallen, und es ist schwer, das Obst abzusetzen. Die Kisten mit Äpfeln, aus denen sich die Besucher und Teilnehmer des Burgenritts unentgeltlich bedienen können, werden die Überproduktion nur unwesentlich verringern.

Beim „Apfelschuß“ sind die Pferde nervös. Das Sirren der Pfeile und die Zuschauer irritieren. Für die drei Schüsse haben die WettkämpferInnen eine Minute Zeit. Jeder getroffene Ring der 15 Meter entfernten Apfel-Zielscheibe wird in Sekunden umgerechnet. Nicht verschossene Pfeile kosten Strafzeit. Christine, die fesche Reiterin vom Ritten, dem Hochplateau über Bozen, ist mit dem gestrigen ersten Wettkampftag mehr als zufrieden. Allzuviel Ehrgeiz, den Wettbewerb zu gewinnen, hat sie nicht. Sie will den Ritt durch die schöne Landschaft genießen. So bevorzugt die Rittner Reiterin beim Apfelschuß auch die pazifistische Variante. Christine zielt zwar kurz, läßt dann aber die Pfeile lässig von der Sehne des Bogens zu Boden gleiten. Ob mit Absicht oder unfreiwillig, ist schwer zu entscheiden.

In der Nähe des Turnierplatzes am Kreuzstein hat die Freiwillige Feuerwehr von Eppan-Berg lange Tische und Bänke aufgebaut. Der Duft von gegrillten Bratwürsten und Koteletts liegt in der Luft. Manche der Zuschauer haben bereits am frühen Vormittag einen Krug Bier oder ein Glas Wein in der Hand. Der Mann, der die Verzehrbons verkauft, grummelt ein wenig. Der Termin Ende April sei einfach zu früh für den Burgenritt. Jetzt seien noch keine Urlauber da, die die Vereinskasse klingeln ließen.

Auf der Waldlichtung unterhalb der Schloßruine Boymont steht das „Turnier an der Quintana“ auf dem Programm. In Scharen sind die Zuschauer heraufgewandert und lagern rings um den Turnierplatz in der warmen Frühlingssonne. Für das leibliche Wohl sorgt wieder ein Eppaner Verein, diesmal die Freiwillige Feuerwehr aus dem Dörfchen Missian. Auch hier sind nur wenige Urlauber dabei. Es ist ein Fest für die Einheimischen. Drei starre Ritter aus Sperrholz warten auf die Attacken der WettkämpferInnen. Mit Lanzen, die eher Besenstielen gleichen, sollen die Köpfe der künstlichen Gegner heruntergestoßen werden. Rainhilda vom Team „Wolfsgruben“ prescht im gestreckten Galopp rasant um die hölzernen Ritter und hat bereits zwei Holzkameraden enthauptet. Mit aufgeregter Stimme kommentiert der Turnierplatzsprecher den forschen Ritt, denn eine neue Bestzeit steht bevor. Aber die Reiterin verfehlt den letzten Kopf und muß einen zeitraubenden neuen Anlauf nehmen. „Kinder und Frauen soll man nie zu früh loben“, im konservativen Südtirol ruft die diskriminierende Anmerkung des Sprechers keinen Protest hervor.

Während am Rand des Turnierplatzes die Südtiroler Fahne aus Scham schlaff am Mast hängt, flattert oben am höchsten Turm der Ruine Boymont die rote Flagge mit dem Ochsenkopf wie wild im Wind. Im Namen der Burg steckt das lateinische Wort für den kastrierten Stier, den die früheren adligen Herren vom „Ochsenberg“ als Wappentier wählten. Um das Jahr 1235 herum – das genaue Datum ist nicht überliefert – ließen Heinrich und Reimprecht von Boymont das romanische Kastell erbauen. Die beiden Brüder waren Ministerialen, untergebene Dienstmänner der Grafen von Eppan. Nur eine Schlucht trennt Schloß Boymont von der gewaltigen Burganlage Hocheppan, dem Stammsitz des mächtigen Adelsgeschlechts, das fast die Geschichte Südtirols verändert hätte. Es fehlte nicht viel, und die Provinz südlich des Brenners hieße heute „Südeppan“.

Damals, im 12. Jahrhundert, konkurrierten zwei Adelsdynastien um die politische Vormachtstellung im Land: die Grafen von Tirol und die von Eppan. Andere Widersacher waren längst ausgeschaltet. Die stark befestigte Burg Hocheppan war die wehrtechnische Antwort auf den Bau der Burganlage Tirol oberhalb Merans. Was die TeilnehmerInnen des Burgenritts heute nachspielen, war im Mittelalter blutiger Ernst. Über drei Jahrzehnte zogen sich die Kämpfe zwischen den beiden feudalen Herrschaftshäusern hin. Weite Teile des Landes wurden verwüstet, unzählige Menschen fanden den Tod. Der Überfall auf eine päpstliche Gesandtschaft, die zu Kaiser Barbarossa unterwegs war, läutete das Ende der Eppaner ein. Denn eine kaiserliche Strafexpedition war die Folge, die den politischen Einfluß der Grafen von Eppan brach. Die Tiroler hatten nun freie Bahn.

Auch als Ruine beeindruckt Hocheppan. An der massigen Burg ist ein Holzgeviert für das „Goldene Kegelspiel“ aufgebaut. Hoch zu Pferd müssen die ReiterInnen durch ein Gatter, es öffnen und schließen, absteigen und mit fünf großen Holzkugeln die Kegel abräumen. Rank und schlank, in schmucken Lederhosen, beobachtet der heutige Burgherr, Michael Graf Goäss-Enzenberg, das Geschehen. Ihm kommen bei diesem Spiel die Pferde zu kurz. Für das nächste Jahr hat der Graf einen Vorschlag parat: Die Kegelbahn wird auf Stelzen errichtet und die WettkämpferInnen müssen vom Pferderücken aus kegeln.

Ob der Eppaner Burgenritt aber im nächsten Jahr tatsächlich wieder stattfinden wird, ist nicht entschieden. Zwar sehen die Touristiker vom Verkehrsverein ihre Erwartungen voll und ganz erfüllt, aber sie wollen erst einmal Bilanz ziehen, ob sich die Veranstaltung auch gerechnet hat. Reinhard Kuntzke

Auskünfte über das Überetsch und das Südtiroler Unterland erteilt der Tourismusverband „Der Süden Südtirols“, Pillhofstr. 1, I-39010 Frangart,

Tel:. 0039-0471-633488

Fax: 0039-0471-633367

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