■ Die gute Gesellschaft in der Provinz macht den Bock zum Gärtner: Im ostfriesischen Leer werden rechte Parolen salonfähig
Wenn der Bremer CDU-Innensenator minderjährige afrikanische Waisen ausweisen will, kann er mit Protest rechnen. 80 Kilometer weiter westlich, im ostfriesischen Leer, läge er voll im Trend. Ausländer sind Scheinasylanten, die uns Deutschen unseren Wohlstand streitig machen. Juden sollen die Klappe halten, sie haben genug Gelder aus deutscher Hand erschlichen. Wir haben wieder gut gemacht. Fertig! Obdachlose in der Innenstadt sollen gefälligst zu Zwangsarbeit abtransportiert werden. Sozialdemokraten sind „Krebsgeschwüre“: Immer öfter bedinet sich Faxen-Gerd in der nach oben offenen Brachialskala populärer Scheißhausparolen.
Gerd Koch, Leeraner Rechtsanwalt und Fraktionsführer der Allgemeinen Wählergemeinschaft (AWG) im Leeraner Stadtrat, Wahlergebnis fast 20 Prozent, liebt es, seine Ideen massenhaft via Fax-Gerät zu verbreiten. Ob gegen Berti Vogts, Journalisten oder BürgerInnen, die sich nach Kochs Meinung ungebührlich verhalten, niemand ist vor seinem Teufelssprung aus dem Fax sicher. So weit, so schlecht.
Die Sparkasse Leer-Weener muß laut Satzung viel Gutes tun. Ob Kindergartengestaltung oder ökologischer Neuaufbau der Stadt, alle warten auf Geld und Ideen aus der Sparkasse. Unter ihrem Dach firmiert auch eine Marketing-Arbeitsgruppe, die das Image der Stadt bundesweit aufpolieren soll. Örtliche Kaufleute sind die Mitglieder der Werbegemeinschaft. Seit zwei Wochen ist Faxen-Gerd als Redner eingeladen. Sein Thema: „Innenstadtgestaltung – am Beispiel Solingen“.
„Was sollen wir von dem rechten Sprücheklopper lernen?“, fragt ein Kaufmann entsetzt. „Wir sind völlig unpolitisch. Bei uns kann reden wer will“, betont dagegen der Sprecher der Werbegemeinschaft. Doch als der Brandsatz „Solingen“ gefallen ist: „Nein, eine politische Rede des Herrn werden wir nicht zulassen.“ „Uns doch egal“, sagt der Sprecher der Stadt auf die Frage, ob die Verwaltung gegen den Faxen-Vortrag protestieren werde. Warum Koch in der Sparkasse vor den Kaufleuten reden darf, darüber sagt die Sparkassenleitung nichts. Dabei ist Koch bisher nicht mit qualifizierten Vorschlägen zur Stadtplanung aufgefallen. Koch selbst meint: „Ich gehe hin, wo ich will. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig.“ Sprachs und knallte den Telefonhörer auf.
Heute, am 20. Juli, sollte Kochs Auftritt stattfinden. Am Freitag meldete sich aber der Sprecher der Werbegemeinschaft telefonisch: „Es hat wirklich nichts mit den Recherchen der taz zu tun, aber Herr Koch wird seinen Vortrag über Solingen nicht halten. Wir behalten uns vor, den Vortrag zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf die Tagesordnung zu setzen.“ Thomas Schumacher
P.S.: Am Samstag schickt uns Gerd Koch folgendes Scheiben: Sehr gehrter Herr Schumacher, es ist mir bekannt, daß Sie für ein niveauloses Pamphlet schreiben. Daher müssen sie nicht versuchen, auf seltsame Art und Weise ein Gespräch mit mir zu suchen – und dann auch noch dämliche Fragen zu stellen. Mit freundlichen Grüßen, Gerd Koch
Fraktionsvorsitzender der AWG im Rat der Stadt Leer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen