Mit dem EU-Bürger-Wahlrecht auf Du und Du: EU-Bürger wählen den Bürgermeister nicht
■ Wie die Parteien sich vorbereiten auf das EU-Bürger-Wahlrecht für Juni 1999
Wenn im Juni des nächsten Jahres gewählt wird, dann hat Bremen ein besonderes Problem. Denn nach dem Willen der EU sollen, als erster Schritt einer politischen Integration auf unterster Ebene, die EU-Bürger in dem Staat, in dem sie gerade leben, auch kommunales Wahlrecht haben.
Was tun, wenn in der Stadt Bremen die kommunale Wahl identisch ist mit der Landtagswahl und da nur Deutsche im Sinne des Grundgesetzes das passive und aktive Wahlrecht haben? Sollen in Bremen die EU-Bürger weniger Rechte haben? Soll die Städtestaat-Verfassung gesprengt werden wegen ein paar tausend wahlberechtigter Holländer, Italiener oder Franzosen? Bremens Verfassungsexperten haben lange gerungen um diese Frage und einen Kompromiß auf halbem Wege gefunden. EU-Ausländer dürfen die Abgeordneten der Stadtbürgerschaft mitwählen und auch selbst in die Stadtbürgerschaft hineingewählt werden und dort den Haushalt der Stadt Bremen mitbeschließen, der Bremer Bürgermeister bleibt aber identisch mit dem „Ministerpräsidenten“ und wird deshalb nur von den Landtagsabgeordneten gewählt werden.
Dieses komplizierte Konstrukt würde einer verfassungsrechtlichen Überprüfung möglicherweise nicht standhalten und setzt darauf, daß die Zahl der EU-Ausländer, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, so gering ist, daß dadurch in der Stadtbürgerschaft keine anderen Mehrheiten zustandekommen als in der Bürgerschaft Landtag. Und daß es in der Stadtbürgerschaft keinen EU-Bürger als Stadtverordneten geben wird, der für sein Recht, auch die Exekutive mitzuwählen, streitet.
Wird nun die CDU einen EU-Bürger auf ihre Stadtbürgerschaftsliste nehmen? Das Thema sei sehr kompliziert, derzeit wegen des laufenden Bundestagswahlkampfes auch kaum in der Partei präsent, sagt CDU-Sprecher Guido Niermann, und dann fügt er staatstragend hinzu: „Es gibt den politischen Willen zur Integration auf der kommunalen Ebene, das Wahlrecht ist gerade auch von Helmut Kohl durchgesetzt worden.“ Aber ob dies sich auch realisiert etwa mit einem Italiener auf der Liste – da käme es rein auf die Qualifikation des Bewerbers an. Kommunale EU-Integration aus Prinzip oder mit Quote gibt es nicht.
Besonders attraktiv soll das Stadtbürgerschaftsmandat auch nicht werden: Es wird eine „Aufwandsentschädigung“ von ca. 850 Mark geben, vergleichbar der Summe, die Bremerhavener Stadtverordnete bekommen. Die Bürgerschaftsabgeordneten erster Klasse, die auch im Landtag sind, haben zu der Aufwandsentschädigung ihre Diät von mehr als 4.000 Mark und, wenn sie Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes sind, das halbe Gehalt.
Daß das Bremer EU-Problem heute noch kein Thema ist, gilt für SPD und Grüne gleichermaßen. „Für mich hätte es einen großen Reiz, den neuen Spielraum für EU-Ausländer zu nutzen“, sagt Hermann Kuhn, der selbst aus Island stammt. Für das Parlament wäre es „eine Bereicherung“, aber aus Prinzip erzwingen würde auch er es nicht. Auch bei den Grünen gibt es keinen profilierten und aktiven EU-Ausländer, der prädestiniert für einen der vorderen Listenplätze wäre. Und Kuhn zögert auch, wenn es um die Frage der verfassungsmäßigen Überprüfung des kastrierten Bremer Wahlrechts geht. Die Grünen waren gegen den derzeitigen EU-Wahlrechtskompromiß, aber sie akzeptieren ihn.
Die Grünen waren damals dafür, den EU-Ausländern in Bremen auch das Landtags-Wahlrecht zu gewähren und sich – im „Krawall“ gegen das derzeitige Bundeswahlrecht – zum Vorreiter der EU-Integration zu machen. Das hätte sicherlich zum Verfassungsgerichtsprozeß geführt. Daß die Bremer nun das Schlußlicht der EU-Integration über das kommunale Wahlrecht bilden, interessiert vielleicht außerhalb der engen Landesgrenzen niemanden mehr. K.W.
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