: „Monstrum Bavaricum“ oder Wie reich ist der Kanzler (2) Von Stefan Kuzmany
Was bisher geschah: Der Autor (ich) hat im Haus von Prof. Raaki von diesem eine haarsträubende Geschichte gehört. Aus Angst, sein Haus würde abgehört, hat der Professor den Autor zu einem Spaziergang überredet.
Was nebenan geschah: Kurz vor 22 Uhr, fast schon finster. Es regnete noch immer in Strömen. Trotzdem kostete es den BND- Agenten Horst M. nicht viel Mühe, den Besucher seines Observationsobjektes, Professor Dr. Raaki, Träger des großen Geheimnisses der Verschwörung gegen die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, unauffällig zu begutachten. Langsam rollte M. seine schußsicher verstärkte 90-Liter-Mülltonne von der Haustür zur Straße. Sein Nachbar wollte wohl noch einen Regenspaziergang machen. In gefährlicher Begleitung: Sein Gast hatte sich kurz vorher telefonisch angekündigt und war Journalist. Sagten die Abhörprotokolle. Professor Raaki war von seinem dunklen Mantel und einem grauen Regenschirm geschützt, der junge Mann an der Seite des Verschwörungstheoretikers bot dagegen einen traurigen Anblick. Seine Jeans waren schon völlig durchnäßt – und sein Regenschirm war viel zu klein. Augenscheinlich kein Profi.
M. ärgerte sich. Wegen dieses Spaßvogels, der sicher nicht die Spur einer Ahnung von der wahren Bedeutung dieses für Außenstehende als verrückt geltenden Professors Raaki hatte, mußte er nun noch eine Sonderschicht einlegen. Mißmutig rollte er seine Mülltonne weiter, um den beiden Spaziergängern zu folgen – ohne sie aus der Reichweite des eingebauten Richtmikrofons zu verlieren.
Was mit mir geschah: Professor Raakis Stimme schwoll an. „Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen Franz Josef Strauß auf dem Gewissen hat?“ – „Persönlich?“ – „Fragen Sie nicht nach!“ Er rückte mir jetzt so nahe, daß unsere Regenschirme kollidierten. „Fragen Sie niemals nach! Sie werden sonst einen Kopf kürzer gemacht!“ Eine ruckartige Geste an meinem Hals unterstrich die Ernsthaftigkeit seines Wutanfalles. „Starfighter. Der Unfall seiner Frau. Die Spiegel-Affäre. Ich kenne die Hintergründe. Ich kenne dieses Monstrum Bavaricum.“ Wir verharrten.
Plötzlich ließ Raaki von mir ab. Wild blickte er um sich, erspähte einen harmlosen Passanten, erwählte diesen als neue Zielscheibe und raste auf ihn zu. Es war ein Mann, der seine Mülltonne trotz des Dauerregens zur Entleerung bereitstellen wollte. Entgeistert blickte er dem entgleisten Professor entgegen, der sich ihm mit affenartiger Geschwindigkeit und wüsten Beschimpfungen näherte: „Scherge des Monstrum Bavaricum, erzittere! Rück deine Protokolle heraus, du Schwein vom BND! Der Herr mit den Augenbrauen hat euch geschickt! Ich weiß, wie reich der Kanzler ist!“
Es entstand ein Handgemenge. Das war meine Chance. Ich ließ den Knirps fallen und rannte, rannte, rannte. Hinter mir fielen Schüsse. In der Ferne quietschten Autoreifen. Ich blickte mich nicht mehr um – war mir doch für einen kurzen Moment so, als hätte ich einen dritten Mann aus der Mülltonne auftauchen sehen. Schrille Schreie gellten durch die Nacht, bedrohlich, dann im leiser werdend und schließlich im monotonen Grundrauschen des ewigen Hamburger Regens untergehend. Noch mal davongekommen.
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