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„Andere Forderungen sind auch nicht realistisch“

■ Erwerbslosengruppe fordert die „Befreiung von falscher Arbeit“ mittels eines Existenzgeldes von knapp 2.000 Mark für alle. Finanzierung würde jährlich schlappe 1.500 Milliarden kosten. Grüne sind billiger

Er hatte die Nase voll. 1994 kündigte Wolfgang Ratzel seinen festen Arbeitsplatz als Haftpflichtschadensachbearbeiter bei der BVG. Die Beschäftigung mit Blechschäden und umgefahrenen Pollern, sagt er, „habe ich einfach nicht mehr ausgehalten“. Seitdem macht Ratzel „selbstbestimmte und gesellschaftlich sinnvolle Arbeit“, u.a. in einer Gruppe des Bündnisses für Erwerbslosenproteste, das gestern wieder den Aktionstag der Arbeitslosen organisierte.

Ratzel und seine sieben MitstreiterInnen brüten über den Ansätzen einer „neuen gesellschaftlichen Ordnung“. Aus ihren Köpfen stammt die Forderung nach dem „Existenzgeld für alle“, die sich unter den ArbeitslosenaktivistInnen zunehmender Beliebtheit erfreut.

Das Konzept hat alles, was ein großer Entwurf braucht: Utopiegehalt, Radikalität und eine gehörige Distanz zur Wirklichkeit. Die Vision soll nicht nur die Armut abschaffen, sondern auch alle Menschen von „falscher Arbeit befreien“. Jeder bekäme die Möglichkeit, seine Fähigkeiten nicht an irgendwelche Arbeitgeber verkaufen zu müssen. Die Gruppe verlangt also, allen EinwohnerInnen Deutschlands, vom Säugling bis zum Greis, 1.500 Mark Eistenzgeld pro Monat plus etwa 450 Mark Wohnkosten zu zahlen.

Mit einem wesentlichen Schönheitsfehler der Idee halten Ratzel und seine KollegInnen gar nicht hinter dem Berg. Die Komplettversorgung der rund 80 Millionen Bundesbürger würde die Kleinigkeit von 1.467 Milliarden Mark kosten – pro Jahr. Das ist grob gerechnet die dreifache Summe des Bundeshaushaltes.

Die Existenzgeldgruppe denkt aber nur eine Idee bis zum bitteren Ende, die seit Jahren quer durch alle Parteien und Wirtschaftsforschungsinstitute diskutiert wird – dort jedoch aber unter anderem Label. Bei der grünen Sozialexpertin Andrea Fischer etwa heißt das Konzept „Grundsicherung“ und kommt mit jährlichen Kosten von nur 10 Milliarden Mark aus. Nur die wirklich bedürftigen SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslosen sollen leicht erhöhte Zuwendungen von mindestens 750 Mark plus 450 Mark Mietzuschuß erhalten. Mit der Befreiung von jeglicher entfremdeter Arbeit hat die Bündnisgrüne nichts im Sinn. Und selbst das viel umfassendere Bürgergeld-Modell, das das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 1996 durchrechnete, kommt „nur“ auf Mehrkosten von maximal 300 Milliarden Mark pro Jahr. Mit der Umsetzbarkeit haben sich die DIW-Forscher damals wohlweislich schon gar nicht mehr beschäftigt.

„Die Realisierung unserer Forderung ist nicht sehr wahrscheinlich“, schätzt deshalb auch Joachim Maiworm von der Existenzgeldgruppe. Man beabsichtige aber eine Art „Schockeffekt“, der zum Nachdenken über das Arbeitssystem an sich beitragen solle. Während der Zukunftswunsch Gestalt annimmt, verhält sich die Durchschlagskraft der Arbeitslosenbewegung dazu umgekehrt proportional. Am Anfang kamen noch Tausende zu den Demos, jetzt sind es nur noch wenige Dutzend.

Einen Vorschlag für die Finanzierung hält man dennoch bereit. Einfach gesagt, sollen alle EinwohnerInnen die Hälfte ihres Einkommens abgeben, um das Existenzgeld möglich zu machen. Die Grenze läge dann bei etwa 3.000 Mark: Wer weniger verdient, bekommt etwas dazu, wer darüberliegt, trägt zunehmend zum Einkommen seiner MitbürgerInnen bei. Rechenbeispiel: Von 6.000 Mark Monatsbrutto wandern 3.000 Mark in den großen Topf und 1.500 Mark Existenzgeld im Gegenzug wieder aufs eigene Konto. Der Verlust betrüge in diesem Fall also 1.500 Mark. Großverdiener und MillionärInnen müßten richtig bluten.

Ob die Gruppe nicht etwas kleinere Brötchen backen könne? Nein, meint Wolfgang Ratzel, denn praktische Forderungen wie die nach einer leichten Erhöhung der Arbeitslosenhilfe seien angesichts der politischen Blockade „auch nicht realistischer“. Dann lieber gleich richtig zulangen. Hannes Koch

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