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Der indiskrete Charme der Amateure

Mehr Tiefen als Höhen, mehr dumpfer Ballermann als guter Trash. Nach zuletzt gelungen-witzigen Produktionen ist das neue Stück der Teufelsberger „In Juttas Stübl am Dietmarsee“ ein eher mäßiges Vergnügen  ■ Von Cristina Nord

In diesem Jahr wird Edith Schröder volljährig. Als sie, der Prototyp der schlampig-spießigen Hausfrau, vor 18 Jahren auf einer Leinwand das Licht der Welt erblickte, hatten sich ihre Erfinder rund um Damendarsteller Ades Zabel gerade zur Teufelsberg-Produktion zusammengeschlossen. Mit einer Super-8-Kamera sollte ein gutes Dutzend Filme entstehen, unter anderem auch „Edith Schröder – eine deutsche Hausfrau“. Inzwischen hat die Truppe das Filmen zwar längst aufgegeben, doch Edith, das Neuköllner Urgestein, hat die Leinwand einfach mit den Bühnenbrettern vertauscht.

Auch in der jüngsten Produktion der Teufelsberger, „In Juttas Stübl am Dietmarsee“, tritt sie auf, verkörpert wie immer von Zabel selbst. Und wie zuvor in „Silvester 2000“ geht sie auch diesmal auf Reise. Zwar nicht um die ganze Welt mit der Absicht, Neuköllner Neujahrsbräuche zu verbreiten, sondern bloß nach Österreich, ins Salzkammergut. Immerhin: Ein missionarischer Plan ist auch diesmal im Spiel, denn es gilt, die abtrünnige Jutta (Bob Schneider) zurück nach Berlin zu lotsen. Mit Markus Freitag am Flügel, dem schwulen Kellner Dietmar (Zabel), dem Unterwäscheverkäufer Dr. Sudel (Mario Pavlica), dem reichlich debilen Zimmermädchen Mandy (Petra Krause) und natürlich Ediths Lebensgefährten, dem unvermeidlichen Hotte Sobotta (Olaf Wriedt), ist das Team komplett, und der „Alptraum in zwei Akten“ kann beginnen.

Doch mit den Teufelsbergern ist das so eine Sache. Sie sind so geschmacklos, wie es nur geht. Sie lassen an niemandem ein gutes Haar, nicht an den Frauen und nicht an den Männern, an den Schwulen nicht, an den Transen auch nicht und an den Neuköllnern noch weniger. Sie lieben Zoten und Derbheiten, kennen sich aus in den Gebieten unter der Gürtellinie, und daß ihr Humor irgend etwas Subtiles hätte, läßt sich beim besten Willen nicht behaupten. Zudem sind die Damendarsteller, obwohl schon lange im Geschäft, noch immer mit dem Charme der Amateure geschlagen. Sie können nicht singen und tun's trotzdem, sie können nicht tanzen und schwingen dennoch die Beine, sie können nicht schauspielern und feiern trotzdem Erfolge.

Oft zumindest. Manchmal auch nicht, wie mein Begleiter, ein Teufelsberg-Kundiger, mir in der Pause zuraunt. Man wisse es nie bei ihnen, mal hätten sie ein Hoch, mal ein Tief. Daß „Juttas Stübl“ eher kein Hit werden würde, folge schon aus dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit. Denn „Silvester 2000“ war ein Renner, mit „History repeating. Geh' die Straße der Erinnerung“ feierte man im Juni die Höhepunkte des eigenen Schaffens, dann ging es – vielfach beachtet und immer ausverkauft – mit einem gecharterten Reisebus ins Umland: Tupperfahrt mit Ades Zabel. Und nun eben „Juttas Stübl“ in der Kalkscheune – ein vierter Erfolg in Reihe, das wäre wohl zuviel gewesen.

Wo sie sonst mit genauem Blick und reichlich Tempo den Alltag in der medialisierten Welt sezieren, mit Scharfsinn über die kleinen und großen Spießigkeiten, über Werbung, Popwelt und Boulevard und vor allem über die Kümmernisse der Neuköllner Nogatstraße herziehen, bleiben die Teufelsberger in „Juttas Stübl“ eher kraftlos. Die Anspielungen auf jüngste Medienhypes kommen nicht pointiert genug – daß Mandy beispielsweise unentwegt Viagra schluckt, „weil das immer so trocken ist da unten“, nun, das ist nach dem zweiten Mal nicht mehr so komisch.

Das Tempo wird nicht gehalten; Höhepunkte wie in „Silvester 2000“, wo etwa die Schweiß-Girls mit Hürriet Lachmann vorneweg brillieren durften, sucht man vergeblich. Es gibt viel Dirndl und viel Gesang, ein Hirschgeweih und rotweiß karierte Tischtücher, Knickerbocker und beinahe echtes Gejodel. Als Dreingabe noch einiges an Selbsreferentialität – Edith Schröder und Hotte Sobotta sind eben Serienhelden, und sie wissen darauf hinzuweisen.

Richtig lustig wird es erst, wenn es zu Pannen kommt. Wenn die Teufelsberger ihren Text vergessen, wenn das Licht nicht angeht oder das Kostüm falsch gewählt wurde. Und vor allem: wenn sie über ihre eigenen Witze lachen, ohne sich bremsen zu können. Dann laufen sie zu ihrem charmant-dilettantischen Format auf, das man an ihnen so schätzt. Das Publikum dankt's mit lautem Szenenapplaus.

„In Juttas Stübl am Dietmarsee“, bis 23.8. immer Do.–So., 21 Uhr, Kalkscheune, Johannisstr. 2, Mitte

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