■ Querpalte: Der Eppelmann-Effekt
Ganz Deutschland wird mit CDU-Direktkandidaten beglückt. Ganz Deutschland? Tief im Osten, im Wahlkreis 277 (Fürstenwalde, Strausberg, Seelow), klafft ein schwarzes Loch. Dort nämlich sind die Wähler kürzlich um eine Last erleichtert worden. Sie müssen keinen Christdemokraten mit ihrer Erststimme wählen. Rainer Eppelmann meldete sich schlichtweg nicht fristgerecht an.
Nun wird der Pfarrer als Nummer eins auf der Landesliste der CDU in Brandenburg ganz gewiß in den Bundestag gelangen. Das Herz des Bundeskanzlers aber wird er nicht mehr gewinnen. Im Konrad-Adenauer-Haus soll Peter Hintze, der Generalsekretär, schon eine Geheimstudie in Auftrag gegeben haben. Titel: Warum wir die Wahlen verloren – der Eppelmann-Effekt. Ja, Rainer Eppelmann ist zur Zeit ein wandelnder Witz in Bonn. Helmut Kohl ist derart erzürnt, daß er sich gestern auf einer Pressekonferenz grammatikalisch mühsam dem Satzende entgegenempörte. Das sei eine „Schlamperei, die in gar nichts zu entschuldigen ist“. Dabei liegen sie alle falsch in Bonn. Eppelmann ist kein Schlamper, Eppelmann ist ein genialer Stratege. Er hat nur ein bißchen in seinem Gedächtnis gekramt. Und sich an das Jahr 1990 erinnert. Da war er, der Bürgerrechtler, plötzlich DDR- Minister für Abrüstung und Verteidigung. Zweierlei hat Eppelmann seitdem nie mehr vergessen: Erstens, engagiere dich nicht für etwas, was ohnehin zur Abwicklung vorgesehen ist. Und zweitens: Führe es so durch, daß es keiner merkt.
Und so handelte Rainer Eppelmann, als es um seinen Wahlkreis ging. Präziser als alle Demoskopen berechnete er seine Chancen. Wozu dumpfe Gespräche in düsteren Kneipen führen, wozu Rentnerheime an der Oder besichtigen? Ja, wozu das Spektakel, wenn man ja doch über die Landesliste in den Bundestag kommt? Also handelte Eppelmann. Er fuhr an die Ostsee. Beobachtete den Kanzler, wie er sich abmühte auf seiner Bädertournee in Kühlungsborn. Er vergaß die Anmeldefrist nicht, er ließ sie verstreichen. Severin Weiland
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