piwik no script img

„Den Personalausweis mal bitte“

■ Die Polizei kann in sogenannten Gefahrenzonen jeden kontrollieren / Kanthers neuer Gesetzentwurf geht noch weiter

Samstagnacht, Sielwallkreuzung, kurz nach eins. Ein Streifenwagen steht vor der Ampel. Eine Passantin geht nichtsahnend über die Straße. Als die Ampel auf grün umspringt, fährt der Polizeiwagen an, wendet mitten auf der Kreuzung und nimmt die Verfolgung der Passantin auf. Sie hat dunkle Haare, dunkle Augen und trägt eine schwarze Lederjacke. Gerade hat sie die Straßenseite gewechselt. Auf dem Bürgersteig, direkt vor den Füßen der zierlichen Frau kommt der Streifenwagen zum Stehen. Der Polizist hinterm Steuer droht mit dem Zeigefinger. Stehenbleiben, heißt das.

Die Polizisten steigen aus. Der Beifahrer, der Streifenführer, in der Regel der erfahrenere Polizist, der im Wagen das Sagen hat, baut sich hinter der Wagentür auf. „Den Ausweis mal bitte“, bellt er, die Ellenbogen auf die Wagentür gestützt. „Hab' ich nicht dabei“, antwortet die Passantin. „Warum nicht?“ will der Polizist wissen. „Unnötiger Ballast“, antwortet die Kleine ungerührt. „Name, Geburtsdatum“, bellt der Polizist. „Das ist hier eine Gefahrenzone, deshalb die Kontrolle“, sagt der Fahrer dazwischen. „Kathrin Müller, 17.2.67“, antwortet die Frau. Die Beamten steigen in den Polizeiwagen. Der Fahrer nimmt das Funkgerät zur Hand. Kurz darauf geht die Wagentür auf. „Sie können weitergehen“, sagt der Polizist. Die Passantin nickt. „Dürfen die das – ohne Grund, ohne Verdacht“, fragt sie Minuten später, als sie ihren Ärger in einer Kneipe mit einem Grappa hinunterspült.

Sie dürfen. Und wenn der Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) zur Schleierfahndung vom Bundestag verabschiedet wird, dürfen Polizei und Bundesgrenzschützer sogar noch mehr. Mit der sogenannten Schleierfahndung will Kanther ein „dichtes Sicherheitsnetz“ stricken, im dem sich „große und kleine Fische“ verfangen. Grenzschützer, von denen derzeit im Rahmen eines Modellversuchs in Bremen 50 eingesetzt sind, nehmen schon seit Jahren die Aufgaben der Bahnpolizei wahr. Nach dem neuen Gesetzentwurf dürften sie in Zukunft durch Eisenbahnwaggons ziehen, und ohne jeden Verdacht Identitätskontrollen durchführen. Wer sich nicht ausweisen kann, kann festgenommen durchsucht und erkennungsdienstlich behandelt werden (siehe auch Spiegel 25/98). Der Grundatz des Preußischen Landrechts von 1794, daß polizeiliches Handeln immer an „Gefahr“ gebunden ist, gehört damit der Vergangenheit an. In Bremen sei die Schleierfahndung noch kein Thema, versichert eine Sprecherin des Innensenators.

Nach Paragraph 11 des Polizeigesetzes dürfen die Beamten „die Identität einer Person“ allerdings schon jetzt ohne Verdachtsmoment feststellen, „wenn die Person sich an einem Ort aufhält, von dem aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen ist, daß dort Straftaten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit verabredet, vorbereitet oder verübt werden oder sich dort Straftäter verbergen.“ Zu diesen Gefahrenzonen gehört neben der Sielwallkreuzung unter anderem der Hauptbahnhof. Jeder Passant und jede Passantin muß hier damit rechnen, kontrolliert zu werden. Die Daten werden über Funk mit dem Fahndungscomputer des Bundeskriminalamtes abgeglichen. Außerdem können die Beamten prüfen, ob eine Person in Bremen gemeldet ist. Wenn kein Haftbefehl oder dergleichen vorliegt, kann der Passant weiterziehen – vorausgesetzt, die Beamten haben keinerlei Zweifel an den Angaben. Ansonsten kann der Passant mit zur Wache genommen werden.

Polizeisprecher Kunze versteht die Kritik, die gerade aufgrund der Kantherschen Pläne laut wird, nicht. „In einer Demokratie muß man sich das gefallen lassen. Man hat als Bürger schließlich nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.“

kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen